Außensicht

Parteien: Ausgeistern

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 07. September 2023

Man kennt das von Bäumen und Sträuchern: Sie siechen dahin, lassen zur Unzeit das Laub fallen, und plötzlich, als sei neues Leben in sie gefahren, treiben sie aus, üppiger als vorher, und sterben ab. Der Fachmann sagt dann, die Pflanze war gestresst. Der Volksmund weiß es schöner: Sie hat „ausgegeistert“.

Im Katholischen Sonntagsblatt hat letzte Woche Franz Tutzer, ehemaliger Direktor der Landwirtschaftsoberschule, einen Leitartikel über das Ende der Parteiendemokratie geschrieben. Er nennt es nicht so, aber seine Überlegungen laufen darauf hinaus: Die politischen Parteien haben abgewirtschaftet, es ist Zeit, dass die Demokratie umdenkt und sich neuer Werkzeuge bedient. Wie kluge Kommentatoren das gern tun, bemüht Tutzer für seine These eine unstrittige Autorität, in diesem Fall die Philosophin und Mystikerin Simone Weil (1909–1943), und zitiert ausführlich aus deren „Notizen zur Abschaffung der politischen Parteien“.

Es sind harte und auch bestechende Gründe dafür, und der Leitartikler des Sonntagsblatts hat keine Scheu, sie auf den Zustand des politischen Geschäfts von heute zu beziehen. Nun, Abgesänge auf die Parteiendemokratie sind nicht neu, aber wer sich die Wirklichkeit der momentanen Vorwahlzeit vor Augen hält, dem fällt Widerrede schwer.
Sechzehn Parteien (sechzehn!), die um wenig mehr als grad doppelt so viele Sitze kämpfen, jede für sich und gegen jede, – wer da nicht ans krebswuchernde Bäumlein denkt: Ist’s am Ausgeistern?

Oder besteht noch Hoffnung? Nelson Mandela, der große Anti-Apartheid-Kämpfer, hat auf die Frage, wie er es geschafft habe, 27 Jahre schwere Isolationshaft zu überleben, einmal geantwortet: „Ich habe die Erfahrung gemacht, es ist besser, optimistisch zu sein.“ Ich versuche es jetzt auch. Blöde sechzehn Listen! Aber es kandidieren darauf 500 Landsleute. Ein Tausendstel der Bewohner Südtirols. Ist doch ermutigend, so große Beteiligung an der demokratischen Willensbildung, oder?!

von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff

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