Herdenschutz? Bei uns kaum praktizierbar, behaupten Bauernbund und Kleintierzüchter. Am Beispiel Obervinschgau zeigt sich jedoch seine Wirksamkeit. Eine Reportage aus dem Schleiser Tal.
Gesellschaft & Wissen
Zum Glück Europa
Aus ff 34 vom Donnerstag, den 22. August 2019
25 Tage lang fuhren Magdalena, Sophia, Lucia und Eva mit einem Interrail-Ticket durch Europa. Tagebuch einer Reise, die sie verändert hat.
Es riecht nach Eisen. Die Bremsen quietschen. Die Durchsagen nerven. Der Schaffner pfeift schrill. Züge spucken Menschen aus. Alle wirken gestresst, suchen in Fahrplänen nach der nächsten Verbindung. Alle haben ein Ziel, einen Weg, einen Plan. Und wir vier „Rittner Gitschen“ mittendrin.
Voll bepackt mit großen Rucksäcken starten wir unsere Interrail-Reise. Ein Abenteuer durch ein Stück Europa, Großstädte, kleine Orte, Ebenen, herrlich blaues Meer. Neun Städte werden wir durchstreifen, mit dem Zug von Ort zu Ort reisen. Und das alles mit einem einzigen Ticket. Einem Interrail-Ticket. Interrail, davon hatten wir vier alle schon einmal gehört. Aber selber auf Reisen gehen?
20.000: So viele Gratisbahntickets hat die EU-Kommission wenige Wochen vor den EU-Wahlen an 18-jährige Europäer verlost. 95.000 bewarben sich online unter dem Motto „DiscoverEurope“, sie alle wollten zwischen Juli 2019 und Januar 2020 durch Europa reisen. Auch wir vier. Und wir hatten Glück! Wir haben vier Tickets bekommen!
Montag, 15. Juli
Matura geschafft! Nach der Abschlussprüfung beginnt für uns vier Rittnerinnen – Magdalena, Eva, Sophia, Lucia – am 15. Juli das nächste Abenteuer. Unser erster Reisetag führt uns nach zwölf Stunden Zugfahrt in fünf verschiedenen Zügen nach Nizza. Hier genießen wir die ersten Tage an der Cote d’Azur: hellblau schimmerndes Mittelmeer, strahlend blauer Himmel, weiße Kieselsteine. Wunderbar! Bikini und Handtuch standen auf unserer Packliste ganz weit oben, wir relaxen an den ersten Tagen unserer Reise.
Donnerstag, 18. Juli
Es geht weiter nach Bèziers. Wir erwarten uns ein ruhiges Städtchen, etwa so wie Klausen, und stellen uns auf laue Sommerabende in der Kleinstadt ein. Doch es kommt völlig anders – dem Fußball sei Dank. Denn: Am 19. Juli gewinnt Algerien den Afrikacup mit einem 1:0 gegen den Senegal. Und dieser Sieg wird in Bèziers gefeiert. Aber so richtig gefeiert! Hier leben viele Algerier, oder Halbalgerier: Frankreich und Algerien verbindet ja eine konfliktreiche Beziehungsgeschichte, Algerien war eine französische Kolonie. An diesem Abend regieren definitiv die Algerier, sie rasen in überfüllten Autos durch die Gassen der Stadt, Kinder tanzen auf Autodächern zu Trommelklängen, und Frauen werfen schreiend kleine Feuerwerkskörper in die Luft. Was für ein Tumult. Wir vier fühlen uns ziemlich fehl am Platz und ziehen uns deshalb bald in unsere -Airbnb-Wohnung zurück.
Samstag, 20. Juli
Am nächsten Tag fahren wir weiter nach Toulouse. Toulouse wird wegen der vielen Häuser aus Terrakottaziegeln auch „la ville rose“, die rosarote Stadt, genannt. Beim Abendspaziergang durch die Stadt werden wir am Ufer der Garonne auf den Freizeitpark der Stadt aufmerksam. Wir sehen Volleyballfelder, Tischtennisturniere und einen bebenden Tanzboden, auf dem Dutzende leidenschaftlich Salsa tanzen. Wir bleiben ein paar Tage.
Dienstag, 23. Juli
Unser nächstes Ziel ist eine Stadtberühmtheit: Nach fünf Sunden Zugfahrt kommen wir in der Weinhauptstadt Bordeaux an. Hier erleben wir unseren Interrail-Hitzerekord: 42 Grad Celcius. Wegen der Hitze machen wir einen Ausflug zur Dune du Pilat, einer 100 Meter hohen Sanddüne am Ufer des Atlantiks – ein großer Sandhaufen, der von Jahr zu Jahr wächst. Wir kühlen uns ab. Ein kühles Lüftchen weht aber erst an unserem nächsten Ziel, in Nantes.
Freitag, 26. Juli
In Nantes werden wir an die Zeit des europäischen Sklavenhandels erinnert, in dem Nantes eine wichtige Rolle spielte, da die wichtige Hafenstadt für lange Zeit ein Zentrum des Sklavenhandels war. Das Denkmal an der Loire erinnert mit zahlreichen Zitaten und Erzählungen in mehreren Sprachen an diese schreckliche Zeit. Das macht uns sehr nachdenklich.
Aber wir feiern auch. Wir besuchen einen Club, in dem alle um uns herum alle Songs laut mitsingen, während wir vielleicht zu einem Zehntel der Songs tanzen können. Wir müssen an Lieder wie „Böhmischer Traum“ denken, ein Lied, das die Musikkapellen zu Hause in Südtirol oft spielen.
Sonntag, 28. Juli
Auch unser nächstes Ziel führt uns in die Vergangenheit: Paris. Wir besuchen das nahe gelegene Schloss Versailles, wo wir in die Welt des französischen Barocks eintauchen. Während wir durch die riesigen, mit Gold geschmückten Säle spazieren, verstehen wir, warum Marie Antoinette – die Gattin Ludwigs XVI. – während einer Hungersnot meinte, wenn das Volk kein Brot mehr habe, dann solle es doch Kuchen essen.
Im Gegensatz zu den prunkvollen Gemächern der damaligen Herrscher wohnen wir in einer, hmm, ja, sehr kläglichen Behausung. In Paris hatten wir das erste Mal weniger Glück mit unserer Unterkunft, schlafen in einem nicht allzu sauberen 14-Betten-Zimmer und trinken schlechtes Leitungswasser.
Donnerstag, 1. August
Natürlich darf Brüssel auf einer Europareise nicht fehlen. Leider sind wir aber nur für 24 Stunden hier. 24 Stunden, die wir so gut als möglich nutzen – erst im Morgengrauen kommen wir ins Hostel zurück. Am Abend hatten wir belgisches Bier verkostet und landeten dann in überfüllten Pubs, wo wir gemeinsam mit Gleichaltrigen aus Guatemala, Frankreich, Belgien und Chile die Nacht durchtanzten. Müde, aber glücklich machen wir uns auf den Weg nach Hamburg.
Freitag, 2. August
Neun Stunden später kommen wir in der Hansestadt an. Hier erleben wir eine riesige und sehr bunte Pride-Parade. Hunderte Menschen demonstrieren für Gleichheit und zugleich Verschiedenheit und Einzigartigkeit aller Menschen. Mit bunten Kostümen, vielen Plakaten und einigen LKWs mit lauter Musik feiern sie, dort leben zu können, wo jeder sein darf, wie er möchte.
Montag, 5. August
Nach Hamburg fahren wir für drei Tage in die deutsche Hauptstadt, nach Berlin. Auch hier erinnern viele Denkmäler an die Geschichte Deutschlands, aber auch an die Geschichte Europas. Vor allem die Straße am Checkpoint Charlie, die die Geschichte des geteilten Deutschland erzählt, beeindruckt uns. Die Reste der Berliner Mauer lassen uns über Grenzen und Mauern nachdenken, von denen es ja zum Glück innerhalb der EU keine mehr gibt. Und dann, dann geht es Richtung Ritten, zurück in die Heimat.
Donnerstag, 8. August
25 Reisetage, neun Städte und 3611 Minuten Zugfahrt, und jetzt sind wir wieder zu Hause. Im Gepäck: Viele schöne Erinnerungen und jede Menge Schmutzwäsche. Wir sind glücklich. Glücklich, so viel erlebt und so viel gesehen zu haben. Die Reise ließ uns wachsen, offener und reifer werden, und sie ließ uns spüren, was es heißt, EU-Bürgerinnen zu sein.
Magdalena Lang, Eva Unterhofer, Lucia Baumgartner und Sophia Unterhofer
Die vier 19-Jährigen, sie stammen aus Lengstein bzw. Unterinn, waren drei Wochen in Europa unterwegs. Ihre Eindrücke teilten sie mit den ff-Leserinnen und -Lesern in Print und Online.
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Ein Kontinent – ein Ticket
1972, im Jahr des ersten Autonomiestatuts, feierte das Interrail-Ticket Premiere. Ein Trend begann, der vor allem in den 80er- und 90er-Jahren boomte. Reisen, Abenteuer erleben, im Zug schlafen, essen, trinken, leben, für viele war Interrail ein Ticket in die europäische Freiheit. Der Trend hat nachgelassen, dennoch setzen sich immer noch junge Menschen in den Zug, um durch Europa zu reisen. Sie wollen ihren Kontinent kennenlernen. Seit 2018 gibt es das Europäische Projekt „DiscoverEurope“. Andere Reisende treffen, Unabhängigkeit genießen, Selbstvertrauen tanken, sich europäisch fühlen – das alles soll „DiscoverEurope sein“, dafür verlost die Europäische Kommission Gratis-Interrailtickets. Eine Idee, die bei vielen ankommt. Auch in Südtirol wurde kräftig für das Projekt geworben, der Brixner Peter Natter unterstützte in Südtirol als Botschafter das Projekt. Warum sich Magdalena, Sophia, Eva und Lucia dafür entschieden haben, sich für ein Ticket zu bewerben? „Vielleicht weil der Weg das Ziel ist. Am Fenster sitzen, wenn Landschaften vorbeiziehen, unterwegs kleine Ortschaften besuchen, Leute kennenlernen, ein- und aussteigen. Sich wohlfühlen, unterwegs zu sein, einfach zu leben, am Boden zu sitzen und frei zu sein.“
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