Essen und trinken zu Hause (4): Sternekoch Mathias Bachmann bereitet mit uns einen echten Osterschmaus zu.
Gesellschaft & Wissen
Corona erbarme dich
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Das Coronavirus trifft die Kirche dort, wo sie am verletzlichsten ist: Es nimmt ihr die Gemeinschaft. Jetzt muss sie schnell reagieren. Ein Bericht aus dem Homeoffice des Herrn.
„Plötzlich kommt vom Himmel die Pest,
die die Hand Gottes ist,
und mit einem Schlag
wurde dein Stolz erniedrigt.“
Kardinal Karl Borromäus,
Erzbischof von Mailand, 1576
Als 1522 die Pest in Rom wütete, durften die Römer das Haus nicht mehr verlassen. Ausgangssperre. Je länger Angst und Schrecken durch die Gassen der Ewigen Stadt krochen, desto inbrünstiger beteten die Menschen für das Ende der Seuche.
Ihre Hoffnungen ruhten auf Gott und einem lebensgroßen hölzernen Kreuz, das heute in der Kirche San Marcello al Corso hängt. Die Römer wollten das Kreuz bei einer Prozession durch ihre Stadt tragen, aber die Obrigkeit fürchtete weitere Ansteckungen – auch in der frühen Neuzeit setzten die Behörden auf Kontaktsperren, um die Ausbreitung von Seuchen einzudämmen. Doch die Römer ließen sich nicht einsperren.
Schließlich war die Angst vor dem Volkszorn größer als die Angst vor der Pest: 16 Tage dauerte die Prozession, dann hatte der Schrecken ein Ende, die Gefahr, die von der Pest ausging, war gebannt. Zumindest wird es so erzählt. Das hölzerne Kreuz, das dem frommen Menschenzug vorangetragen wurde, wird seitdem auf Deutsch Pestkreuz, auf Italienisch crocifisso miracoloso genannt.
500 Jahre später herrscht in Rom, wie auch in weiten Teilen des Erdkreises, wieder Ausgangssperre. Wieder beten Gläubige für das Ende einer Seuche, die heute Covid-19 heißt. Viele Menschen glauben, die Welt wird nach Corona eine andere sein. Aber was heißt das für die Katholische Kirche? Seit Jahren von Säkularisierung und Skandalen gebeutelt, könnte sie sich jetzt wegen eines Virus dauerhaft verändern.
Vor zwei Wochen montierten mit Mundschutz und Gummihandschuhen ausgerüstete Arbeiter den Gekreuzigten über dem Altar von San Marcello vorsichtig ab und fuhren ihn in den Vatikan. Weil die katholische Welt nicht nur vom Gebet, sondern auch von Hoffnung und sehr viel Symbolik getragen wird, ließ Papst Franziskus das historische Pestkreuz auf dem Petersplatz aufstellen.
Er betete für das Ende der Coronapandemie und spendete den Segen Urbi et orbi, für die Stadt und den Erdkreis, ein Segen, der eigentlich nur an Weihnachten oder Ostern vorgesehen ist. Urbi et Covid. Das Bild des alten Mannes in seiner weißen Soutane, der bei Nieselregen auf einem menschenleeren Petersplatz steht, wird nicht nur in die Kirchengeschichte eingehen. Das Bild drückt eine Zäsur aus, die manche Beobachter bereits jetzt als Übergang in eine neue Epoche einordnen möchten, als Zeit nach Corona.
Die Katholische Kirche, der offiziell 1,3 Milliarden Menschen angehören, ist eine träge Institution, die in langen Rhythmen denkt und nach alten Riten lebt. Pest, Dreißigjähriger Krieg, Aufklärung, Französische Revolution, zwei Weltkriege, die Kirche steht immer wieder vor großen historischen Herausforderungen, aber bisher hat sie alle überlebt. Sie bleibt bei ihrer Botschaft, ihren Bräuchen, ihren Bedingungen, wenn auch immer weniger Menschen die Botschaft hören und die Bedingungen akzeptieren. Und dann kommt plötzlich Corona.
Lourdes, der wohl wichtigste Wallfahrtsort der katholischen Welt, an dem nach eigenen Angaben sogar Infektionskrankheiten geheilt werden, musste Quelle und Grotte schließen. Das erste Mal seit dem 19. Jahrhundert. Die berühmte San Gennaro-Prozession in Neapel, bei der sich das verklumpte Blut des Heiligen Januaris in einer Ampulle verflüssigen soll, muss voraussichtlich abgesagt werden. Es wäre das erste Mal seit Jahrhunderten. Die päpstlichen Gottesdienste der Kar- und Ostertage in Rom werden ohne Gläubige stattfinden. So etwas hat es in der neueren Kirchengeschichte noch nie gegeben.
Das Coronavirus trifft die Kirche dort, wo sie am verletzlichsten ist: Es nimmt ihr die Gemeinschaft. Und das ausgerechnet zu Ostern, dem Fest der Auferstehung Jesu Christi.
In Südtirol besuchen regelmäßig etwa 20 Prozent der Katholiken den Gottesdienst, auf dem Land ist der Durchschnitt höher, in den Städten niedriger. Die hohen Feiertage sind statistische Ausreißer, an Weihnachten und Ostern gibt es wenig freie Plätze auf den Kirchenbänken. Ostern 2020 müssen sie aber leer bleiben. Kein Weihrauch, keine Kommunion, kein Händel-Halleluja in der Osternacht.
Gegen diese Covid-19-Maßnahmen gibt es Protest. In Italien fordert Lega-Chef Matteo Salvini, aus dessen Hand ein Rosenkranz zu wachsen scheint, Gläubige sollen unter Wahrung des Sicherheitsabstandes die Ostermesse besuchen dürfen. In Deutschland klagt eine katholische Gemeinde vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen das Gottesdienstverbot. Immerhin ist Ostern das Top-Event der Christenheit.
Ostern ist aber nicht nur Dreh- und Angelpunkt des Kirchenjahres, das Fest von Tod und Auferstehung, Ostern ist auch ein Fest der Familie. Emotional zwar weit hinter Weihnachten angesiedelt, ist es für viele Menschen ein jährlicher Fixpunkt mit festgelegtem Ablauf und vielen Bräuchen – Osterhase, Osterbrot, Osterbrunch, Osterspaziergang. Enkel treffen ihre Großeltern, Patenkinder ihre Paten, Freunde treffen sich zum Grillen. Das ist aber schwierig, wenn sich Stadt und Erdkreis in häuslicher Isolation befinden, in Coronazeiten reduzieren sich Feiern und Gemeinschaft auf Balkon und WLAN: Ostern fällt dieses Jahr aus.
Eugen Runggaldier muss durchatmen, als er diesen Satz hört. Runggaldier ist Generalvikar der Diözese Bozen-Brixen, eine Art Geschäftsführer der Katholischen Kirche im Land. Und er ist der Stellvertreter von Bischof Ivo Muser. „Ostern fällt nicht aus!“, sagt Runggaldier, nachdem er kurz Luft geholt hat. Seine Stimme hat dabei eine deutliche Jetzt-erst-Recht-Färbung angenommen.
Kurz Zeit hatte es aber tatsächlich so ausgesehen, als ob Ostern verschoben werden würde. Die Entscheidung über diese nicht ganz alltägliche Frage fiel im Palazzo delle Congregazioni, in dem, wenige Meter neben dem Petersplatz, die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung untergebracht ist.
Die Katholische Kirche ist nicht nur hierarchisch gegliedert, sie arbeitet auch sehr bürokratisch. Der Vatikan ist eine große Behörde mit vielen Palazzi und langen Gängen, an denen viele Büros liegen. Hier wird der Katholizismus verwaltet. In den vergangenen Wochen mussten viele Monsignori die dicken Bücher des Kirchenrechts aus den Bücherregalen ziehen und nochmals ganz genau studieren. Die Kirche ist so alt, sie müsste eigentlich auf jede Krise eine Antwort haben.
Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung beriet und hielt in ihrem Dekret nüchtern fest: Ostern kann gar nicht verschoben werden. Das erste Konzil von Nicäa hatte 325 nach Christus entschieden, dass Ostern am Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling stattfindet und der Frühling am 21. März beginnt. Und eine knapp 1700 Jahre alte Gewohnheit ändert man nicht einfach so.
„Auch die Coronaepidemie ist nicht imstande, Ostern abzuschaffen“, schreibt Bischof Muser in einer Mail an die ff. Der Einfluss der Pandemie auf den kirchlich-religiösen Alltag, auf das Leben der Gläubigen, ist allerdings enorm.
Messfeiern finden seit Wochen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, bei Beerdigungen dürfen maximal zehn Personen anwesend sein, Taufen sind ausgesetzt, Hochzeiten und Erstkommunion müssen verschoben werden. Das Personal gehört mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren nahezu kollektiv zur Corona-Risikogruppe, bis heute sind fünf Priester in Südtirol an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Die Kirche muss auch in Südtirol gerade auf Sicht fahren, Bischof Muser schreibt von einer „Schmalspur-Seelsorge“.
Wenn Homeoffice aber schon für viele Unternehmen und öffentliche Einrichtungen eine Herausforderung ist, was heißt das für eine Institution, deren Lernprozesse sich über Jahrhunderte erstrecken? Wie kann das Seelenheil während einer Ausgangssperre gemanagt werden? Wie funktioniert das Homeoffice des Herrn?
Die Diözese Bozen-Brixen hat nicht nur eine Taskforce, sie hat zwei. Eine für die Verwaltung und eine für die Diözese. Während sich Taskforce 1 mit Fragen auseinandersetzt, die sich gerade jeder Betrieb stellen muss, sind die Fragen, mit denen sich Taskforce 2 beschäftigt, etwas speziellerer Natur.
Beispiel Beichte. Die Apostolische Pönitentiarie, einer von drei obersten Gerichtshöfen der Kirche, entschied am 19. März, das Sakrament der Versöhnung kann gespendet werden. Allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen – der Beichtstuhl bleibt tabu. Der Ort der Beichte muss gut durchlüftet sein, es muss Mundschutz getragen und Abstand gehalten werden, Körperkontakt ist verboten. Priester und Sünder müssen beide gesund sein. Wer krank ist und nicht beichten kann, muss seine „Sünden aufrichtig bereuen, sich die Vergebung seiner Sünden wünschen und es sich zum Vorsatz machen, sobald es wieder möglich ist, zur Beichte zu gehen“, schreibt die Diözese auf ihrer Webseite.
Immer wieder bekommt Generalvikar Runggaldier Anrufe und Mails, wie sich die rund 200 Diözesanpriester verhalten sollen. „Wir dürfen unseren Dienst nicht komplett einstellen“, warnt Runggaldier, aber die Krankensalbung sollte es nur in extremen Fällen geben. Bitten Krankenhauspatienten um die Kommunion, dann bringt ein Priester die Hostie zum Eingang der Klinik, ein Pfleger oder ein Arzt übergibt sie dem Patienten. Auch die Möglichkeit zur Generalabsolution sieht die vatikanische Seelenheilbürokratie vor: Abgeschottete Coronapatienten werden über Lautsprecher kollektiv von ihren Sünden losgesprochen. Seelsorge in Zeiten von Corona, da ist nicht nur Kirchenrecht, sondern auch Kreativität gefragt.
Peter Kocevar ist in diesen Tagen im Dauerstress. Kocevar, mit 30 Jahren einer der jüngsten Priester Südtirols, ist gerade dabei, ein virtueller Kirchenstar zu werden, obwohl er das gar nicht möchte. „Hallo, Peter“, meldet er sich am Handy. Es wird ein kurzes Gespräch. Der Kooperator, er versieht seinen Dienst in der Seelsorgeeinheit Pustertal, lehnt Stellungnahmen ab, es erreichen ihn gerade zu viele Anfragen. Er klingt etwas überfordert, alle wollen etwas von ihm.
Peter Kocevar hat als erster Priester in Südtirol damit begonnen, seine Messe über Facebook oder Youtube zu streamen. So predigt er zwar vor leeren Kirchenbänken, erreicht aber über sein Smartphone wahrscheinlich mehr Menschen als sonst. Die Zahlen variieren, die Message bleibt: Könnt ihr nicht zu mir kommen, dann komme ich zu euch.
Mittlerweile streamen mehrere Pfarrer – allen voran Bischof Ivo Muser. Über Radio, Fernsehen oder Internet werden seine Messen aus dem leeren Bozner Dom übertragen. Der Bischof nennt es eine „virtuelle Gottesdienstgemeinschaft“ und schreibt, dass sich „sehr viele mit dem Dom verbinden“. Die Übertragung der Messe ist nichts Neues für den Klerus, viele Pfarreien haben ihren eigenen Pfarrsender. Auch der Empfang der Kommunion ist geistig möglich, die Kirche hat an vieles gedacht.
Sie verlagert ihren Dienst – wie so viele – vor allem aber ins Netz. Sie erfindet sich nicht neu, sie passt sich den Umständen an: Don Giuseppe Corbari, Pfarrer im lombardischen Robbiano, druckte Selfies von den Gemeindemitgliedern aus und klebte sie auf die Kirchenbänke. Einer von vielen Versuchen, nicht allein zu sein.
Auch Katholische Jungschar und Katholische Jugend suchen die virtuelle Nähe, Whatsapp-Andachten mit 250 Teilnehmern oder gestreamte Messen mit selbst gedrehten Musikvideos sollen das Gemeinschaftsgefühl zumindest digital erlebbar machen. Jungschar-Vorsitzende Julia Leimstädtner sagt: „Zuspruch und positive Gedanken sind jetzt besonders wichtig.“
Simon Klotzner, Landesleiter der Katholischen Jugend, freut sich auf die Online-Frühmesse am Ostersonntag, in mehreren Mails berichtet er begeistert vom Elan der jungen Gläubigen, virtuell gemeinsam zu beten und den Glauben zu feiern. Digitale Formate wie diese werden über die Krise hinaus reichen, die physische Gemeinschaft, da sind sich alle einig, kann aber durch nichts ersetzt werden. Das merkt man in diesen Tagen vor allem bei Beerdigungen.
Es ist eine Frage, die Kirche und Trauernde sehr beschäftigt: Wie nehme ich Abschied vom verstorbenen Partner, wenn ich mich in Quarantäne befinde? Wenn die Mutter im Sterben liegt, ich sie aber nicht besuchen darf, weil das Altersheim abgeschottet ist? Wenn die Oma beerdigt wird, ich bei der Trauerfeier aber nicht dabei sein kann?
Martina R. konnte sich von ihrer Oma nicht mehr verabschieden. Wenige Tage bevor die über 90-Jährige in einem Altersheim starb, las Martina eine beunruhigende Nachricht im Whatsapp-Chat der Familie. „Die Oma kränkelt.“
Ein paar Tage und Telefongespräche später wieder eine Whatsapp: „Die Oma ist tot.“ Weder Martina, sie lebt in Berlin, noch ihr Bruder, er lebt in Tirol, konnten zur Beerdigung nach Südtirol fahren. Aber auch ihre Schwester, die noch zuhause wohnt, stand nicht auf dem Friedhof – mehr als zehn Menschen dürfen derzeit bei einer Trauerfeier nicht anwesend sein.
Martina ist kein religiöser Mensch, das Ritual des gemeinsamen Trauerns wäre für sie aber wichtig gewesen, sie konnte erst weinen, als sie, wieder auf Whatsapp, ein Foto der Sterbeanzeige sah und die Namen ihrer Familienmitglieder las. Das eingeübte Ritual, öffentlich Schmerz zu zeigen und ihn mit anderen zu teilen, fehlt vielen Menschen in diesen Tagen.
„Trauer in Zeiten von Corona ist sehr außergewöhnlich“, sagt Irene Volgger von der -Caritas-Hospizbewegung. Fast unmenschlich. Trauer braucht Raum, Zeit, einen Ort und einen sozialen Kontext. „Das ist jetzt alles auf Eis gelegt.“
Auch Trauerbegleiter wie Rudi Sampt versuchen in dieser Situation zu helfen, durch Gespräche am Telefon oder über Skype. Statt eines Rosenkranzes vernetze man die Familie über Social Media, vor Kurzem wurde eine Tochter nach dem Tod ihrer Mutter über das Handy zum gemeinsamen Gebet und Abschiedsritual zugeschaltet. Whatsapp-Video statt persönlicher Umarmung, ein emotional sehr schwieriger Moment.
„Auch für Priester ist es nicht leicht, Abschied zu nehmen“, sagt Josef Torggler, während er mit ff über den Tod seiner Schwester spricht. Torggler arbeitete über 30 Jahre als Religionslehrer, nun wirkt er als Senioren- und Priesterseelsorger. Immer wieder wird er für Vorträge und Gespräche angefragt, jetzt ist sein Terminkalender leer, „das erste Mal in meinem Leben“.
Es stört ihn nicht und auch das Alleinsein fällt ihm nicht schwer, Priester sind darin geübt. Zu Beginn der Coronakrise bat Torggler aber mehrere Zeitungen, seine Telefonnummer und Mailadresse abzudrucken. Er will für die da sein, die Trost, die ein Gespräch brauchen.
Mehrere Frauen haben ihn seitdem angerufen, sie erzählen ihm, wie sie unter ihren Männern leiden. Das Konfliktpotenzial ist gerade hoch, unabhängig vom Alter.
Das Telefon von Familienseelsorger Toni Fiung läutet gerade öfter als sonst. Eltern können nicht raus, sie müssen sich um ihre Kinder kümmern und parallel arbeiten, der Tag verliert an Struktur, es gibt keine Freiräume mehr, der Stress steigt. Corona kann Menschen überfordern. Abgesehen vom klingelnden Handy ist es im Haus der Familie am Ritten aber gerade ziemlich ruhig. Keine Kinder spielen im Freien, alle Seminare, alle Ehevorbereitungskurse sind ausgesetzt. Am Karfreitag will Fiung eine Messe aus der Wald-
kirche mit Online-Speisensegnung über Facebook streamen.
Gestreamte Messen, Whatsapp-Andachten, Telefonseelsorge. Auf ihrer Webseite hat die Diözese detaillierte Anleitungen für Hausgottesdienste veröffentlicht, inklusive Audiolinks und Videoclips. Eine liturgische Onlinelieferung frei Haus. Natürlich ohne Hostie. Wird sich nach Corona das Religiöse mehr ins Private zurückziehen? Toni Fiung sagt, Kirche ist dort, wo sich Christen organisieren. Der christliche Glaube sei nicht nur Sache des Pfarrers, „Christen werden wieder mehr Verantwortung übernehmen und aktiver werden“.
Auch Maja Clara wird am Ostersonntag eine kleine Andacht in ihrer Wohnung halten. Wenn sie aus dem Fenster schaut, dann sieht sie den Bozner Dom, die TV-Messe aus dem Dom wird sie sich aber nicht anschauen. Messen in leeren Kirchen, das tut ihr weh, es fehlt die Seele, die Atmosphäre, ja auch die Inszenierung. Clara ist Journalistin, wäre aber gerne Priesterin geworden. In der Kirche engagiert sie sich, soweit ihr das die Kirche erlaubt – sie ist Kantorin, Lektorin und leitet Wortgottesdienste. „Jetzt“, sagt sie, „jetzt, wäre die Chance, dass sich die Kirche ändert.“
Robert Hochgruber, pensionierter Religionslehrer und Messner in Tschötsch bei Brixen, glaubt nicht an eine Veränderung. „Ich habe große Sorge, dass die Kirche nach Corona zur Tagesordnung übergeht“, sagt er uns am Telefon. Die Kirche müsse gerade jetzt mehr bei den Menschen sein, das Evangelium des „Kollegen aus Nazareth“ müsse in die Tat umgesetzt werden.
Kritik gibt es auch wegen der fehlenden Unterbringung von Obdachlosen in Bozen. Öffnet eure Häuser, heißt es. Generalvikar Runggaldier erwidert, die Kirche stelle seit Jahren in Haslach das Haus Freinademetz zur Verfügung, mehr passende Strukturen habe die Diözese in Bozen nicht.
Frauenpriestertum, überaltertes Personal, fehlende Nähe, Ökumene, Zölibat, ein neues Bewusstsein, die Fragen, die seit Jahrzehnten Gläubige und Kirche beschäftigten, werden durch Corona nicht leiser, sondern lauter. Wenn die Welt, wie viele schreiben, nach der Krise eine andere sein wird, gilt das dann nicht auch für die Kirche? Was, wenn Menschen merken, dass ihnen Weihrauch, schöne Gewänder und Kirchenmusik, aber nicht Jesus fehlt?
Bischof Maurizio Malvestiti, dessen Bistum Lodi besonders schwer von Corona betroffen ist, erzählt im Gespräch mit Zeit Online: „Viele Konfessionslose verspüren den Wunsch, eine Messe zu besuchen. Ich kriege Nachrichten, in denen zu lesen steht ,Bischof, wir haben Sehnsucht nach Eucharistie!‘“
Auch Bischof Ivo Muser schreibt in seiner Mail einen Satz, den mehrere Priester in ähnlicher Form zur ff sagen: „Eine neue Verbundenheit im Glauben und in den Beziehungen entsteht. Viele entdecken, welche Kraft und Orientierung die Glaubensgemeinschaft schenkt und was alles wegbrechen würde, wenn wir sie tatsächlich nicht mehr hätten.“ Und auch Muser sagt: „Ostern findet statt!“ Die Krise als Renaissance des Glaubens, als Erstarkung der Kirche, auch das ist möglich.
Als im Mittelalter die Pest Tod über Europa brachte, schwankten die Gläubigen zwischen tiefer Frömmigkeit und dem Vertrauensverlust in kirchliche Autoritäten, viele Menschen sahen die Pest als eine Strafe Gottes. Beim Coronavirus hat das die Kirche, bis auf wenige Ausnahmen, schon mal ausgeschlossen.
Als Papst Franziskus vor zwei Wochen allein am Petersplatz betete, sprach er von „Sturm“ und „Verwundbarkeit“, aber auch von „Stärke“ und „Glauben“. Er rief zu Nächstenliebe und dem Erkennen der wirklichen Prioritäten im Leben auf. Das Pestkreuz, das neben ihm stand, befindet sich mittlerweile im Inneren des Petersdoms – durch den Regen war es leicht beschädigt worden.
Nach Ostern soll es aus dem Dom wieder nach San Marcello al Corso zurückgebracht werden. Wenn Arbeiter das Kreuz dann über die Straßen Roms transportieren, werden sie an vielen Wohnungen vorbeifahren, in deren Fenster Bilder von Regenbögen hängen. „Andrà tutto bene“ wird auf den Kinderzeichnungen zu lesen sein. Dieses Mal sind sie das Hoffnungszeichen inmitten einer globalen Krise.
Alles wird gut, wir wollen es glauben.
Mitarbeit: Alexander van Gerven
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Die Osterrituale der ff-Redaktion
Ok, der gewohnte Kirchgang samt Pflicht-Frühschoppen bei Bier und Weißwurst gleich um die Kirchturmecke fällt heuer flach.
Das ist allerdings zu entbehren. Schwerer wiegt da schon ein anderes österliches Ritual, das ausfällt: die Osternest-Suche im Freien. Doch heuer ist es anders, ja der Ausfall kommt mir zupass. Denn die Organisation der Ostereiersuche hat sich in den letzten Jahren immer aufwendiger gestaltet. Weil die Kids im Laufe der Jahre alle möglichen Verstecke im Garten ausgemacht hatten, habe ich mich auf unmögliche Verstecke spezialisiert. Damit wurde in den vergangen Jahren leider auch das Finden unmöglich. Zuletzt habe ich darum technische Hilfe eingesetzt und ein sendendes Lawinenverschüttetensuchgerät ins Nest gelegt – mit durchschlagendem Erfolg übrigens. Nicht zu überbieten. Was also hätte ich bloß dieses Ostern aus dem Ärmel schütteln können? Nix, abgesagt! Gottlob, da oben im Himmel!
Markus Larcher
Meine Oma hat es vorgemacht, meine Mutter genauso. Am Ostersamstag wurde geputzt, was das Zeug hält. Und auch ich habe die Tradition des Osterputzes fortgeführt. Jahr für Jahr habe ich meine Wohnung so richtig in Schuss gebracht. Fenster geputzt, Boden gewachst, Terrassenboden gespült, Kleiderkasten sortiert, Keller entrümpelt. Dieses Ritual wird dieses Jahr wegfallen. Der Grund: Es ist bereits jetzt alles picobello sauber. Ich hatte vier Wochenenden mal keinen Freizeitstress. Dafür genügend Zeit für den Frühjahrsputz. Die Frage bleibt: Was mache ich dieses Jahr am Ostersamstag?
Verena Pliger
An Ostern sehe ich, wie die Zeit vergeht. Ostern ist eine (blasse) Erinnerung. An die kindliche Suche im Garten nach den Ostereiern (Schokolade!), an unmögliche Verstecke, die Aufregung, die einen nicht mehr schlafen ließ. Ostern war Messbesuch – schöne Gewänder, laute Musik, starke Gerüche, lange Predigten. Ich habe immer gerne dem Papst zugeschaut, wie er bei „Urbi et orbi“ zu Hochform auflief - allein heute fehlt mir der Glaube. Ostern ist weltlich: länger schlafen, gutes Essen, guter Wein und am Ostermontag bestimmt Arbeit – sie beruhigt im Moment. Mit unserer Tochter, die in Innsbruck studiert und dort ausharrt, werden wir telefonieren. Die „Ostereier“, die wir dann doch versteckt hätten, kann sie in diesem Jahr nicht suchen.
Georg Mair
Ostersonntag lädt meine Schwester zum Mittagessen ein. Jedes Jahr fix im Menü: Spargeln und die ersten Erdbeeren des Jahres. Wir sitzen gemütlich zusammen und obwohl wir längst aus dem Alter raus sind, bringt der Osterhase eine Kleinigkeit.
Am Abend geht es für mich dann auf in den Pub. An Ostern treffen sich da Freunde und Bekannte. Auch Leute, die man oft nur ein-, zweimal im Jahr sieht. Ostern für mich: ein Fest der Wiedersehensfreude. Leider fällt’s heuer flach. Ich drücke mal die Daumen, dass es wenigstens an Weihnachten heißt „alle Jahre wieder.“
Sabine Rainer
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