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Gesellschaft & Wissen
„Wie kann Gott das zulassen?“
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Der Moraltheologe Martin M. Lintner über Kirche, Religion und Glaube in Zeiten von Corona. Viele Menschen leiden – gerade zu Ostern. (Interview zu "Corona erbarme dich")
Martin M. Lintner ist Professor für Moraltheologie und spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen. ff hat ihn telefonisch in Innsbruck erreicht und mit ihm ein Gespräch über Gott und die Welt in der Krise geführt.
ff: Herr Lintner, wie geht es Ihnen?
Martin M. Lintner: Es ist für alle eine bedrückende Situation, auch für mich. Eine Verunsicherung ist da, auch die Frage, was die Zukunft bringen wird. Ich kenne Betroffene, die im Krankenhaus liegen oder gestorben sind oder wo in der Familie jemand auf der Intensivstation liegt. Da fühlt man schon sehr mit.
Es geht Ihnen nahe.
Ja. Bei mir kommt hinzu, dass ich vor Kurzem auf den Philippinen war und ziemlich intensiv mit-bekommen habe, wie man dort auf Corona reagiert: mehr mit militärischen als mit medizinischen Maßnahmen. Den Menschen in den Armenvierteln wird kaum geholfen, sie werden von der Regierung im Stich gelassen. Präsident Rodrigo Duterte hat zuletzt damit gedroht, Menschen zu erschießen, die sich nicht an die Ausgangsbestimmungen halten.
Autoritäre Präsidenten wie Duterte beziehen sich gerne auf die Bibel …
Duterte zitiert, was ihm gerade in den Kram passt. Die Kirche hasst er, den Papst hat er offen als Arschloch bezeichnet. Trump zitiert oft die Bibel. Für ihn sind evangelikale Gruppen wichtige Wähler. Diese legitimieren Erfolg und soziale Privilegierung durch die wörtliche, fundamentalistische, Auslegung gewisser Bibelstellen.
Viele sehen das Coronavirus als Strafe Gottes.
Wir Menschen suchen Bewältigungsstrategien, wenn uns Leid trifft. Eine davon ist, solche Krisen als Strafen zu deuten. Dadurch versuchen wir, Mitverantwortung zu übernehmen für das, was uns jetzt trifft. Es ist nicht irgendein blindes Schicksal, sondern steht in Zusammenhang mit meinem Leben und Handeln. Oder wir sehen rückblickend, dass uns ein Ereignis geholfen hat, bewusster zu leben, und schreiben ihm nachträglich einen pädagogischen Wert zu.
Aber auch in der Bibel ist vom Unglück als Strafe Gottes die Rede.
Auch die Autoren biblischer Texte versuchen, Schicksalsschläge zu bewältigen und in ihren Glauben einzuordnen, erlittenes Leid mit ihrem Gottesbild in Einklang zu bringen. Ich denke aber nicht, dass uns diese Form heute hilft. Wenn wir, gerade jetzt zu Ostern, glauben, dass Gott sich wirklich in die Welt eingelassen hat, um in Not geratenen Menschen nahe zu sein, sie aufzurichten, dann kann man nicht von Strafe Gottes reden.
Was hat die Kirche jetzt für eine Rolle?
Viele haben in dieser Situation das Bedürfnis nach einer geistigen Orientierung. Sie wollen das, was jetzt geschieht, einordnen. Die Krise, die Betroffenheit – sie wollen verstehen. Hat das alles einen Sinn, wie kann Gott das zulassen? Was möchte uns Gott in dieser Situation sagen?
Kann die Kirche hier helfen?
Ja! Und sie muss auch ihr Möglichstes tun um zu helfen. Durch Telefonseelsorge, durch die Caritas, aber auch, indem sie Strukturen öffnet. Für Obdachlose zum Beispiel.
Muss auch die Kirche einiges überdenken?
Wenn wir als Christen das, was wir verkünden, glauben, dann müssen wir uns ganz besonders an die Seite der Leidenden stellen. Das Handeln ist Teil des Glaubens. Schauen wir nochmals auf die Philippinen, dort sind die kirchlichen Institutionen für viele Menschen die letzte Zuflucht. Krankenhäuser nehmen Menschen aus Elendsvierteln gar nicht mehr auf. Hier kommt die Kirche ihrem Auftrag und ihrem Anspruch nach.
Es gibt auch bei uns gerade sehr viel Solidarität. Ist das nicht das Geschäft der Christen?
Nicht exklusiv. Es ist gut, dass Menschen Gutes tun, solidarisch sind und sich füreinander verantwortlich fühlen, aus welcher Motivation heraus auch immer.
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