Gesellschaft & Wissen

Dann kamen die Alpträume

Aus ff 16 vom Donnerstag, den 16. April 2020

Gabriel Kostner (links) im Rettungshubschrauber an der Seite seines Bruders Marco: „Dachte nie, dass es mich treffen würde.“
Gabriel Kostner (links) im Rettungshubschrauber an der Seite seines Bruders Marco: „Dachte nie, dass es mich treffen würde.“ © Alexander Alber
 

Gabriel Kostner, 55, Rettungspilot des Aiut Alpin Dolomites, war an Covid-19 erkrankt – und rang auf der Intensivstation um sein Leben. Sein dramatischer Erfahrungsbericht. (von Gabriel Kostner)

Zugegeben: Auch ich habe die ganze Sache anfangs nicht wirklich ernst genommen. Zwar habe ich durch meine Arbeit beim Aiut Alpin Dolomites engen Kontakt mit Notärzten in Bozen, im Veneto und in der Lombardei, die mir die damals bereits schlimme Situation in den dortigen Krankenhäusern beschrieben, doch schien mir die jeden Tag anwachsende Flut von Verordnungen und Bestimmungen übertrieben. Zuerst die Skilifte und Hotels, die schließen mussten, dann die Bars, Restaurants, Geschäfte – es konnte doch nicht sein, dass diese unglaublich zerstörerischen Maßnahmen der einzige Ausweg aus der Coronakrise sein könnten. Die Erzählungen klangen zwar nach einer ernsten Sache und die Betroffenen taten mir schrecklich leid, aber irgendwie war es auch etwas, das mich nicht persönlich treffen würde.

Als es mit dem Husten losging, war ich überzeugt, es handle sich um eine Erkältung. Ich hatte wohl zu lange und zu leicht bekleidet mit der Motorsäge gearbeitet, dachte ich noch. Dann gingen die Gliederschmerzen los. Dass sie so stark sein konnten, hatte ich nicht in Erinnerung. Aber gut, auch wenn es das Coronavirus sei, für einen gesunden 54-Jährigen könnte es doch maximal zu einer etwas stärkeren Grippe ausarten.

Ich blieb zu Hause, man versorgte mich an der Haustür mit Essen, etwas Geduld und es würde schon vorübergehen. Die Gliederschmerzen blieben, der Husten und der Druck auf die Lunge wurde schlimmer. An Schlaf war nun in der Nacht nicht mehr zu denken. Ich meldete mich wie immer wieder angegeben bei der grünen Nummer, anfangs kam ich nicht durch. Dann wurde mir gesagt, ich müsse nach Brixen kommen, der Arzt würde dann entscheiden, ob ein Test notwendig sei.

Das Fieber stieg, es wurde schlimmer. Also fuhr ich selbst, mit über 39 Grad Fieber, ins Krankenhaus nach Brixen. Dort wurde ich getestet. Der Arzt sagte mir, man könne davon ausgehen, dass ich an Covid-19 erkrankt sei. Er selbst gehe davon aus, dass er und seine Mitarbeiter sich mittlerweile ebenfalls infiziert hatten. Meine Lunge sei in Ordnung, ich müsste Geduld haben. Ich solle wieder nach Hause fahren, in wenigen Tagen hätte ich höchstwahrscheinlich alles überstanden. Jedenfalls würde man sich mit dem Testergebnis melden. Dies geschah, es war erwartungsgemäß positiv.

Zu Hause gingen jedoch weder der Husten noch das Fieber zurück. Glücklicherweise stand ich in der Zeit mit den Notärzten des Aiut Alpin in stetigem Kontakt, diese bestanden auf meine Einweisung. Einer davon war ebenfalls an Covid-19 erkrankt, inzwischen aber schon wieder genesen. Er warnte mich davor, mich nicht sofort einer Behandlung zu unterziehen. Ich erinnere mich noch, dass ich so schwach wurde, dass ich nur mehr mit Mühe den Notruf 112 wählen konnte.

Und so wurde ich mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus Sterzing gebracht und stationär aufgenommen. All das, was dort geschah, fehlt in meiner Erinnerung bereits. Nur aus den Berichten meines Bruders und meiner Freunde weiß ich, dass ich dort drei Tage bei vollem Bewusstsein ausharrte. Dann wurde ich in die Intensivstation des Krankenhauses Meran verlegt und intubiert. Und dann kamen die Alpträume.

Auch jetzt fällt es mir noch schwer zu unterscheiden, was ich dort geträumt habe und was wirklich in meinem Leben vorgefallen ist. Typische Alpträume, ohne Zusammenhang, schlimme Bilder und Vorstellungen, aber auch vollkommen normale Aktivitäten mit Freunden, sehr realistische Gespräche, verbunden mit einem Dämmerzustand, in dem es schwerfällt, Wachsein und Schlaf, Hirngespinste und Realität zu unterscheiden.

Ein paarmal schien mir, ein jeder Kampf sei umsonst, andere müssten jetzt machen, oder auch nicht, an mir liege es nun nicht mehr. Zwölf Tage verbrachte ich so, ohne Bewusstsein, oder zumindest ohne das, was ich in meinem bisherigen Leben als mein Bewusstsein angesehen hatte.

Ich wurde 55 Jahre alt, die Zeit existierte nicht mehr, es gab nur dieses Auf und Ab, Träume, Alpträume, der Schleier lichtete sich und gab etwas Realität frei und verdichtete sich wieder. Und dann wachte ich auf. Eigentlich wurde ich aufgeweckt. Man hatte entschieden, meine Lunge wieder auf Spontanatmung zu testen – und es hat funktioniert.

Ich war schwach, verwirrt, mein Körper war mit Medikamenten vollgepumpt, es fiel mir schwer, mich zu orientieren. Es fehlten mehr als zwei Wochen in meinem Leben, die Leute vor mir waren vermummt, ich konnte sie nicht unterscheiden. Ich war da, daran bestand kein Zweifel. Aber war ich wirklich auf dem Weg der Besserung? Sagte man mir die Wahrheit über meinen Zustand? War die Person, mit der ich sprach, die selbe, mit der ich heute bereits gesprochen hatte? Oder war es gestern? Warum sagte sie dann was anderes? Oder hatte ich das wieder nur geträumt?

Nach über 25 Jahren Rettungseinsätzen erfuhr ich nun am eigenen Leib, wie wichtig es ist, mit dem Patienten zu sprechen. Jedes Wort war plötzlich wichtig, jede Versicherung, es gehe mir besser, jeder Hauch von Normalität. Das schnelle und geübte Wechseln des Bettzeugs, die Säuberung meines eigenen Körpers durch das Pflegepersonal, das Gespräch dabei, die Ankündigung des Tagesablaufs, die vielen freundlichen Worte, das Telefonat mit meinem Bruder und meiner Tochter vom privaten Mobiltelefon des Arztes aus, all dies half mir, wieder zur Normalität zurückzufinden und meine Genesung voranzutreiben.

Und diese ging voran. Aus der Intensivstation kam ich in die Covid-Station und auch dort musste ich nicht mehr lange bleiben. Mein Gesundheitszustand wurde im gleichen Maße besser, in welchem er sich vorher verschlechtert hatte. Ich wurde mehrmals getestet, für negativ befunden und nach Hause geschickt. Dort bin ich jetzt. Noch etwas schwach, aber gesund.

Geblieben ist Dankbarkeit. Dankbarkeit gegenüber den Ärztinnen, Pflegern, dem Reinigungspersonal, allen Bediensteten im Krankenhaus Meran, die mich nicht nur durch ihre große Professionalität wieder gesund bekommen haben, sondern mit all ihren freundlichen und aufmerksamen Worten mir wieder den Weg ins Leben zurückgeführt haben. Mich wieder in der wunderschönen Normalität empfangen haben.

Es ist für mich nach wie vor nahezu unvorstellbar, unter welchen Bedingungen das Sanitätspersonal in den mit Covid-19-Patienten besetzten Stationen arbeitet. Die Sicherheitsmaßnahmen erschweren jeden Atemzug, jede Bewegung, jeden Handgriff. Brillen, Masken, Handschuhe und Schutzkleidung machen jeden noch so routinierten und eingeübten Eingriff nach kurzer Zeit zur Qual. Dazu kommt, dass sie selbst trotz alledem einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt bleiben, was den psychologischen Druck unmenschlich erhöht.

Die Angst, sich selbst und möglicherweise ihre Familienangehörigen anzustecken, und trotzdem täglich übermäßige Arbeitsstunden zu bewältigen, dazu die körperliche und geistige Anstrengung verdienen meine tiefste Bewunderung. Es fällt mir schwer, nicht emotional zu werden, wenn ich an diese an den Covid Stationen arbeitenden Menschen denke, und daran, dass sie auch noch die Kraft finden, den Patienten aufzumuntern und mit den so unendlich wichtigen positiv zugesprochenen Worten Mut und Kraft zu schenken.

Dankbarkeit auch gegenüber den befreundeten Ärzten und Kollegen, allen voran der leitenden Notärztin des Aiut, die mich durch die ganze Zeit begleitet hat. Dankbarkeit gegenüber meiner Familie, ganz viel davon meinem Bruder, der an meiner Seite gekämpft und gezittert hat, so wie manch einer meiner Freunde. Dankbarkeit dafür, dass mir mein Leben erhalten geblieben ist und dass ich diese wirklich wunderschöne Welt – vielleicht bald wieder von oben – anschauen kann.

weitere Bilder

  • Gabriel Kostner im Krankenhaus: „Bin den Ärztinnen  und Pflegern unendlich dankbar.“

Kurzbio

Gabriel Kostner, 55, stammt aus St. Ulrich in Gröden. Er ist Vater einer erwachsenen Tochter. Zusammen mit seinem Bruder Marco gehört ihm das Flugunternehmen Elikos. Er ist Rettungspilot des Aiut Alpin Dolomites, für seine spektakulären Rettungseinsätze wurde er mehrfach ausgezeichnet und geehrt, unter anderem als „Cavaliere della Repubblica“.

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