Gesellschaft & Wissen

Bildung ohne Stellenwert

Aus ff 18 vom Donnerstag, den 06. Mai 2021

Florian Leimgruber
Florian Leimgruber hat Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert. Er unterrichtet seit 35 Jahren an der Mittelschule, zurzeit an der Mittelschule Meusburger in Bruneck. Er war unter anderem 15 Jahre lang im Vorstand der Schulgewerkschaft SSG im ASGB tätig. © Privat
 

Das „System Südtirol“, sagt Florian Leimgruber, ist selbst in dieser Pandemie nicht zu Veränderungen bereit. Das ist schade. Vor allem für die Bildung. Ein Gastkommentar.

Mit der Streichung der Bücherschecks für Oberschüler, mit der Kürzung der Mittel für Leihbücher in Grund-, Mittel- und Oberschulen um 60 Prozent und der Kürzung der Stipendien für Studenten, ist es in der Tat mehr als offenkundig, dass Bildung in Südtirol absolut keinen Stellenwert mehr hat. Das war zu Magnagos Zeiten anders. Silvius Magnago hat erstmals Tausenden Menschen aus Arbeiterfamilien ein Universitätsstudium ermöglicht.

Die jetzige Südtiroler Landesregierung, an vorderster Stelle Bildungs- und Wirtschaftslandesrat Philipp Achammer, investiert lieber in Beton als in humane Ressourcen. Sie richtet sich mit ihrer Handlungsweise gegen die staatlichen Vorgaben, die vorrangig eine Erneuerung und Stärkung des Bildungssystems beinhalten.

Die Gelder des Recovery Plan – wir sprechen hier von 1 bis 2,3 Milliarden Euro für Südtirol – sollen, um nur zwei Beispiele zu nennen, unter anderem mit veranschlagten 30 Millionen Euro dem Bau eines neuen Landhauses dienen beziehungsweise mit 85 Millionen Euro in die Errichtung einer Fakultät für Ingenieurwesen fließen. Eine Fakultät, die niemand braucht, zumal es dafür Universitäten auf nationaler Ebene, in Österreich und anderswo als Ausweichmöglichkeit gibt.

Statt des Bürokratieabbaus und der Entschlackung des Verwaltungsapparates sollen neue Prestigebauten und Bürokratietempel entstehen, die der Aufrechterhaltung und Zementierung des Lobby-Systems in diesem Land dienen sollen und damit die bereits eklatant vorhandenen sozialen Gräben und Disparitäten weiter vertiefen und verschärfen.

Lehrpersonen sind die Promotoren und Vermittler der künftigen E-Demokratie. Es sind die Lehrpersonen, die den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien lehren und vermitteln und indirekt wesentlich zur Willens- und Meinungsbildung künftiger Generationen beitragen. Anstatt die staatlichen Lehrpersonen im Lande anständig für ihre Arbeit und ihren Einsatz für die Zukunft des Landes zu bezahlen, zumal die Möglichkeiten hierfür allseits da sind, und endlich die Koalitionsvereinbarungen umzusetzen, spielt die Landesregierung auf Zeit und boykottiert die Tarifverhandlungen für das Lehrpersonal der Grund-, Mittel- und Oberschulen, wo und wie sie nur kann.

Die bereits mehrmals erfolgten Zusagen und nie umgesetzten Versprechungen etwa hinsichtlich der Gewährung eines IT-Bonus und einer sogenannten alljährlichen „carta del docente“, die in Restitalien den Lehrpersonen seit Jahren gewährt wird, sind ebenso Ausdruck einer nicht mehr ernst zu nehmenden Bildungspolitik; vom mehr als zehnjährigen ökonomischen Stillstand ganz zu schweigen.

Der Lehrberuf lohnt sich nicht mehr.

In Südtirols Schulen wurden bereits mehr als 222.000 Nasenflügeltests durchgeführt, zur Freude der Landes- und Schulverwaltung. Auf die Lehrpersonen ist Verlass! Sie tun es in gutem Glauben und ermöglichen so den Präsenzunterricht, damit die Familien entlastet sind und ein normales Leben wieder stattfinden kann. Sie geben sich bereitwillig dazu her, das gesamte Land am Laufen zu halten: die Gastronomie, die diversen Sporttätigkeiten, die Musikschulen, Jugendtreffs ... Und sie tun es für weniger als einen Obolus.

Der Dank dafür bleibt aus. Die Schulgewerkschaften sind nicht zu hören und nutzen die Gunst der Stunde nicht mit einer einfachen Aufforderung zur Verweigerung der Nasenflügeltests durch das Lehrpersonal an den Schulen. Allein mit dieser Maßnahme wäre die Landesdelegation sofort am Verhandlungstisch zurück.

Die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen, wiegt schwer für politische Entscheidungsträger. Das „System Südtirol“, das auf der ökonomischen Befriedung der diversen Lobbys im Lande fußt, ist zu einer Veränderung auch nach einer weltweiten Pandemie nicht bereit. Es kann weitermachen wie bisher, solange die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht in dieses Lobby-System eingebunden ist, dazu schweigt. Das kann sich jedoch schlagartig ändern. Wie sagte Michail Gorbatschow: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“

Strategiedokumente allein bringen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden, und das werden sie nicht. Es ist Zeit, die vorhandenen Ungleichheiten aufzuheben! Geld dafür ist genug da, Geld war nie mehr da als jetzt. Jetzt muss es umverteilt werden, an andere Adressaten!

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