Gesellschaft & Wissen

„Irgendwann geht die Luft aus“

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 27. Mai 2021

Alex Schwazer
„Interessant bin ich nur als Medaillenhoffnung für Olympia“: Alex Schwazer beim Interview mit ff am Freitag vergangener Woche in Sterzing. © Alexander Alber
 

Warum Alex Schwazer die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, „dass jemand den Mut hat, die Schuldigen an diesem Komplott zur Rechenschaft zu ziehen“.

ff: Es ist anzunehmen, dass Sie schwer enttäuscht sind.

Alex Schwazer: Mah, irgendwie war ich vorbereitet, dass die Sperre nicht ausgesetzt würde. Wir hatten die Sperre angefochten, weil ein ordentliches Gericht inzwischen neue Erkenntnisse ans Tageslicht gebracht hat. Ich kann mir vorstellen, dass die Richterin in Lausanne gesagt hat, nun ja, die Komplotthypothese wurde bereits 2016 diskutiert und stellt daher keinen neuen Fakt dar.

Das heißt, die Erwartungen waren zu hoch gesteckt?

Nein. Unser eigentliches Ziel war es, wieder vor das Sportgericht gehen zu können. Aber dazu bräuchte es das Einverständnis der Gegenparteien, also der Antidopingbehörde Wada und des Internationalen Leichtathetikverbandes World Athletics, früher IAAF. Und dieses Einverständnis gibt es nicht. Für sie ist der Fall seit meiner vor Rio 2016 verhängten achtjährigen Sperre abgeschlossen.

Trotz des Bozner Gerichts, das Ihre Unschuld bewiesen hat?

Laut Wada und World Athletics haben die Bozner Richter sozusagen Blödsinn verzapft. Dagegen wehren wir uns – mit Verweis auf die Reglements: Diese sagen, wenn ein ordentliches Gericht ein Dopingvergehen feststellt, wird der betreffende Athlet gesperrt. Bei Lance Armstrong ist das passiert. Im umgekehrten Fall müsste das aber auch gelten: Wenn ein Richter befindet, dass kein Dopingvergehen vorliegt, müsste die Wada die zu Unrecht verhängte Sperre wieder aufheben. Tut sie aber nicht.

Werden Sie weiterkämpfen? Das Urteil des Bozner Gerichts, dass Sie Opfer eines Komplotts geworden sind, muss doch Folgen haben: Jetzt gilt es herauszufinden, wer für den Komplott verantwortlich ist und was damit bezweckt werden sollte.

Richtig. Ich weiß aber nicht, ob es je dazu kommen wird.

Warum nicht?

Weil Prozesse Geld kosten. Ich hatte gehofft, dass nach dem Urteil von Bozen, das meine Unschuld beweist, die Sperre zumindest provisorisch aufgehoben wird und ich an der Olympiade teilnehmen kann. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen, ich kann mir Olympia abschminken. Jetzt frage ich mich, ob es Sinn hat, den Rechtsweg weiterzugehen und den finanziellen Aufwand, der damit verbunden ist, zu stemmen.

Haben Sie bereits entschieden?

Allein um das Verfahren beim Sportgericht Tas anzustrengen, müsste ich jetzt 21.000 Schweizer Franken auf den Tisch blättern. Das gilt prinzipiell für alle Verfahren vor dem Tas. Falls sich die Gegenpartei weigert, diese Quote zu bezahlen, müsste ich auch ihren Teil übernehmen und also 42.000 Schweizer Franken zahlen. Dann wären noch die Anwälte zu bezahlen. Soll ich mir das antun?

Wie viel Geld haben Sie bislang für die Prozesse und Verfahren ausgegeben?

Was den Strafprozess in Bozen anbelangt, hat mein Anwalt Gerhard Brandstätter bislang noch keinen Euro in Rechnung gestellt. Er macht das aus Überzeugung – und ich muss sagen, im Lauf dieses Verfahrens wurde Gerhard wie ein zweiter Vater für mich. Trotzdem, Summa summarum hat mich diese Geschichte seit 2015 sicherlich an die 200.000 Euro gekostet.

Es hat viel Solidarität gegeben, auch vonseiten des italienischen Leichtathletikverbandes und des Coni.

Ja, ich habe viel Unterstützung erhalten, dafür bin ich auch sehr dankbar. Eine finanzielle Unterstützung hat es allerdings nicht gegeben. Einen weiteren Kampf vor Gericht müsste ich wohl alleine bestreiten – auch in finanzieller Hinsicht.

Fürchten Sie, dass Ihr Fall versandet und vergessen wird?

Ich denke, das ist genau das, womit Wada und internationaler Leichtathletikverband spekulieren, dass nämlich dem Athleten die Luft ausgeht beziehungsweise das Geld. Nehmen wir mal an, ich gewinne irgendwann und kann wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Aber bis dahin hätte ich dermaßen viel Geld verprozessiert, das ich das nie und nimmer über die Preisgelder hereinholen könnte.

Haben Sie Solidarität von Sportlerkollegen erhalten?

Falls Sie Kollegen aus dem Gehersektor meinen, lautet die Antwort: Nein. Der Gehersektor ist der schlimmste von allen.

Warum das?

Auf hohem Niveau gibt es nur Gegner, keine Freunde. Zumindest in unserem Sektor ist das so. Da sagt man, wer gedopt hat, der gehört gesperrt und basta, denn wahrscheinlich hat er es immer schon getan.

Aber einem Jared Tallent, ihrem größten Konkurrenten und Feind, könnte es ja genauso ergehen wie Ihnen, nämlich zu Unrecht des Dopingvergehens bezichtigt zu werden.

Daran denkt niemand. Die berühmten Fläschchen, in denen man bei einer Dopingkontrolle Pipi machen muss, sind nach wie vor manipulierbar. Das ist Fakt. Sportler haben keinerlei Garantie, dass der Urin, der ihnen abgenommen wird, nicht manipuliert wird. Solidarität gibt es in meinem Sport nicht.

Welches Resümee ziehen Sie aus der ganzen Geschichte? Ist die vermeintlich wunderbare Welt des Sports gar nicht so wunderbar?

Sport ist etwas Wunderbares. Würde mich das alles ankotzen, hätte ich es mir nicht angetan. Allerdings gibt es viele Dinge im Sport, die es nicht geben dürfte, die reformiert werden müssen. Es kann nicht sein, dass die Athleten Tausende Vorschriften einhalten müssen, die Gegenseite hingegen null.

Reden wir übers Komplott: Am 15. ­Dezember 2015 haben Sie vor dem Bozner Gericht die Sportärzte Giuseppe Fischetto und Pierluigi Fiorella der Mitwisserschaft bei Dopingpraktiken bezichtigt. Am gleichen Tag ordnete die Wada an, am 1. Januar 2016 bei Ihnen eine Dopingkontrolle durchzuführen. Das Komplott besagt: Die Dopingkontrolle war die Strafe für Ihre Aussage vor Gericht. Könnte diese Gleichzeitigkeit nicht auch Zufall sein?

Nein. Dopingkontrollen werden nie zwei Wochen vorher in Auftrag gegeben, sondern zwei, drei Tage vorher. Ansonsten könnte der Sportler Wind davon bekommen. Dopingkontrollen leben vom Überraschungsmoment. Das Merkwürdige an jener am 15. Dezember für den 1. Januar angeordneten Kontrolle ist, dass das Labor in Köln am 1. Januar geschlossen ist. Man plante also so, um über eine gewisse Zeitspanne zu verfügen, um ...

Die Wada, der internationale Leichtathletikverband, das Kölner Institut: Ist es vorstellbar, dass so viele Leute an einem Komplott gegen Alex Schwazer mitmachen?

Der Komplott selbst kann von einigen wenigen in die Wege geleitet worden sein. Andere Beteiligte könnten ein Interesse daran haben, dass es nicht auffliegt. Das Kölner Institut war sicher nicht am Komplott beteiligt, aber dieses Institut hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, dass die Zusammenarbeit mit der Wada weitergeht. Wenn die Wada die Proben anderswo analysieren lässt, hat Köln ein ernstes Problem.
Wer nicht mitspielt, ist weg vom Fenster.

In einem Artikel über Ihren Fall schrieb die Süddeutsche Zeitung von – so wörtlich – „einer der mysteriösesten Schmutzgeschichten der jüngsten Sporthistorie“.

Ich denke, es ist schier eine Sache der Unmöglichkeit, Licht in diese Schmutzgeschichten zu bringen.

Warum das?

Weil selbst angesehene Journalisten, die sich als Dopingjäger einen Namen gemacht haben, sich davor hüten, Ross und Reiter zu nennen. Erzählt wird meist nur die eine Seite der Medaille. Ich kenne Beispiele von Journalisten, die würden nie ein kritisches Wort gegen das Kölner Labor erheben.
Diese Journalisten schreiben seitenweise gegen die russische Dopingmafia – zu Recht. Aber sie schreiben kein Wort über die US-Amerikaner. Wissen Sie warum? Weil sie ihre Informanten schützen müssen. Haben Sie sich nie gefragt, warum es Staatsdoping anscheinend nur in Russland geben soll?

Kann man denn noch jemandem vertrauen?

Wenn, dann vertraue ich der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit. Sie ist die einzige, die nicht irgendwie mit den Sportverbänden verbandelt und also neutral ist. Das ist auch der Grund, weshalb ich darauf vertraue, dass die Bozner Staatsanwaltschaft jetzt gegen Wada und Internationalen Leichtathletikverband vorgeht. Wobei es extrem schwierig sein dürfte, handfeste Beweise für den Komplott zu sammeln. Nehmen wir mal die gehackten E-Mails: Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, genug Zeit also, um belastende Dokumente verschwinden zu lassen. Wobei die gehackten E-Mails ja nicht nur in meinem Fall strafrechtliche Relevanz haben.

Wer ist noch betroffen?

Die E-Mails wurden ja nicht wegen Alex Schwazer gehackt, sondern um aufzuzeigen, dass Wada und Leichtathletikverband Listen von nicht russischen Athleten mit abnormalen Blutwerten besitzen, diese aber nicht belangen. Dank dieser E-Mails weiß man, dass die Antidopingbehörde Dopingpraktiken toleriert und nur dann eingreift, wenn es ihr zweckmäßig erscheint. Über diese gehackten E-Mails müsste es möglich sein, zu den Drahtziehern des Komplotts zu kommen.

Bei Ihren Dopingvergehen im Vorfeld der Olympischen Spiele in London 2021 hatten Sie Kontakt mit dem einschlägig bekannten Arzt Michele Ferrari. Im Prozess sagten Sie aus, dass der italienische Leichtathletikverband von diesem zwielichtigen Kontakt wusste, aber beide Augen zudrückte.

So war es. Im Zweifel zählen eben Leistung und Aussicht auf Medaillen. Verbände sind gierig auf Medaillen. Und wenn die Gefahr droht, einen aussichtsreichen Athleten zu verlieren, schaut man lieber auf die andere Seite. Ein aktuelles Beispiel: Italien feiert gerade einen neuen Sprinter, der jetzt die 100 Meter in sagenhaften 9,95 Sekunden gelaufen ist: neuer Italienrekord. Dieser Mann (Marcell Jacobs, Anmerkung der Redaktion) kann noch schneller laufen. Sein Ernährungsberater steht im Zentrum einer Ermittlung wegen Anabolika-Handel. Haben Sie davon irgendetwas in den Zeitungen gelesen?
Stattdessen: lauter Jubelmeldungen. Genau das war der Grund, der mich 2012 zum Doping hat greifen lassen.

Erzählen Sie!

Ich wusste, mit Leuten konkurrieren zu müssen, die dopen. Ich wusste, dass in London Athleten am Start sein werden, die nicht sauber waren. Und ich wusste, dass die Verbände darüber Bescheid wissen. Das machte mich verrückt. Ich sagte mir, es kann nicht sein, dass ich riskiere, das wichtigste Rennen zu verlieren, nur weil meine Gegner tricksen. Sicher gibt es Athleten, die standhaft bleiben. Ich war dazu 2012 leider nicht in der Lage. Also tat ich, was andere auch taten. Und im Verband wusste man es. Das war und ist das Ambiente.

Wie geht es jetzt weiter?

Aktuell wäre ich in der Lage, auf höchstem Niveau Rennen zu bestreiten. Ich will nicht aufschneiden, aber bei meinem Comeback im Mai 2016 in Rom wäre ich locker in der Lage gewesen, den Weltrekord zu brechen. Stattdessen haben wir entschieden, uns mit der Olympiaqualifikation zufrieden zu geben. Sicher, es wäre schön, diesen meinen langen Kampf nicht nur mit einer moralischen Reinwaschung, sondern auch mit einem Rennen abzuschließen. Andererseits, ich habe eine Familie, ich muss auch an mein Leben außerhalb des Sports denken. Hat es Sinn, weiterzukämpfen?

Sponsoren haben Sie keine?

Nein. Seit meiner Sperre muss ich mir meine Laufschuhe selber kaufen. So wie es aussieht, werde ich es also bleiben lassen und also nicht vor dem Sportgericht weiterkämpfen. Wenn ich von einem Staatsanwalt gefragt werde, werde ich sagen, was ich weiß. Aber falls nicht jemand kommt, der mich unterstützt, werde ich es bleiben lassen müssen.

2024 endet Ihre Sperre. Da könnten Sie auf alle Fälle wieder ...

... voll loslegen? Klar schwirrt auch dieser Gedanke im Hinterkopf herum. Aber falls ich ein Comeback in drei Jahren planen sollte, müsste ich bis dahin am Ball bleiben und Hochleistungssport betreiben. Will ich das wirklich?

Schließlich haben Sie einen Beruf.

Ja, ich arbeite als Trainer und Berater. Ich trainiere Hobbyläufer, bilde mir ein, dass ich über ein gewisses
Know-how verfüge. Die Nachfrage ist groß, das Geschäft läuft nicht schlecht, die Arbeit macht Spaß. Außerdem habe ich meine Frau und zwei kleine Kinder, denen ich mich widmen will. Es gibt nicht nur den Geher Alex Schwazer.

Nach dem Urteil des Gerichts in Lausanne, das de facto das Ende Ihrer Sportkarriere besiegelte, hat es kein größeres Interview mit Ihnen gegeben. Ist das nicht sonderbar?

Nein, das ist nicht sonderbar. Interessant bin ich nur als Medaillenhoffnung. Sobald klar ist, dass Alex Schwazer bei Olympia keine Medaille holen wird, ist das Interesse an ihm erloschen. Der Fall Schwazer, die Korruption und andere Machenschaften im Sport, das alles interessiert nicht. Deshalb ist es auch rasch still um mich geworden.

weitere Bilder

  • Alex Schwazer

Alex Schwazer, Jahrgang 1984, hat 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking Gold geholt. Kurz vor Olympia 2012 wurde er des Dopings überführt. Daraufhin arbeitete er mit den Behörden zusammen und leistete einen wesentlichen Anteil an der Aufdeckung von Dopingpraktiken. Während er sich mit seinem Trainer Sandro Donati auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro vorbereitete, wurde er positiv auf Testosteron getestet und für acht Jahre gesperrt. Alex Schwazer hat in diesem zweiten Fall immer seine Unschuld beteuert. Im Februar 2021 stellte das Bozner Gericht tatsächlich fest, dass Schwazer zu Unrecht des Dopings bezichtigt wurde und stattdessen Opfer eines Komplotts geworden war. Die internationalen Sportverbände weigern sich, das Urteil anzuerkennen. Vor zwei Wochen beschloss das zuständige Gericht in Lausanne, die Sperre auch nicht provisorisch aufzuheben. Aus diesem Grund darf Alex Schwazer nicht an den Spielen in Tokio teilnehmen. (nd)

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.