Kultur

Dieser schwer definierbare Groll

Aus ff 11 vom Donnerstag, den 12. März 2020

Riccardo Previti: Lalala
„Fun with flags“ – Untersuchung des Spannungsverhältnisses zwischen Nationen des Wahlmeraners Riccardo Previti: Lalala – bloß nicht einander zuhören. © Alexander Alber
 

Kunst Meran widmet seine neue Ausstellung einem Gefühlszustand, der viel mit unserer Gegenwart zu tun hat – dem Ressentiment.

Das Coronavirus – es hat sich nun auch in das lokale Kulturleben hineingefressen. Denn kaum war die neue Ausstellung bei Kunst Meran der Presse vorgeführt und ohne Vernissage (Vermeidung von Menschenansammlungen!) am Freitag vergangener Woche eröffnet worden, musste sie auch schon wieder die Tore schließen.

Die Tore geschlossen halten und abwarten, heißt die Devise dieser Tage auch bei Südtirols Museen und Kunstinstitutionen – in der Hoffnung, dass die Notverordnungen der Regierung am
3. April wieder aufgehoben werden.

Immerhin: Es wartet dann eine denkwürdige, ja spannende Ausstellung auf die künftigen Besucher. Sie widmet sich einem Begriff – oder sollte besser von einem Thema gesprochen werden? –, der einen Gefühlszustand beschreibt: das Ressentiment. Um das Wort aus dem Französischen (ressentir: empfinden, verspüren) treffend zu übersetzen, muss die deutsche Sprache weit ausholen: Es beschreibt ein Gefühl, das in den verschiedensten Situationen wiederkehren kann und als eine Art im Verborgenen nagender Groll zu bezeichnen ist.

Laut Duden bedeutet das Wort eine „auf Vorurteilen, Unterlegenheitsgefühlen, Neid oder Ähnlichem beruhende gefühlsmäßige Abneigung“. In der Psychologie steht Ressentiment für das „Wiedererleben eines meist schmerzlichen Gefühls“, als eine unbewusste Abneigung, die auf Neid beruht.

„Ressentiment. Ein Gefühl der Gegenwart?“ lautet denn auch der Titel der Ausstellung. Eine Frage, die sich wohl bejahen lässt, denn tatsächlich charakterisiert der Gefühlszustand unsere Gegenwart treffend wie wenig andere. „Es ist nicht nur eine persönliche Empfindung, sondern beschreibt auch eine gesellschaftliche Befindlichkeit und eine politische Strategie mit großer Kraft und Dynamik“, sagt die künstlerische Leiterin von Kunst Meran Christiane Rekade; sie ist auch die Kuratorin der Ausstellung.

Kunst Meran fragt mit der Ausstellung nach möglichen Formen und Ausdrücken dieses komplexen Gefühls: Was sind künstlerische Haltungen dazu? Rekade hat 12 Künsterinnen und eine Therapeutin eingeladen, ihre Haltung zum Thema Ressentiment künstlerisch auf den Punkt zu bringen.

Den Auftakt des Ausstellungsparcours macht der deutsche Fotokünstler Wolfgang Tillmans. Der Träger des renommierten Turner Prize hat jüngst durch seine pointierten Poster-Kampagnen zur Volksabstimmung über den Brexit und zu den Europawahlen Aufmerksamkeit erregt. Darin bezog er klar Position gegen isolationistische Entwicklungen, wie sie nun einmal der Brexit oder das Schlechtreden Europas darstellen. Für die nunmehrige Ausstellung hat er eine Plakatwand im Treppenhaus von Kunst Meran geschaffen – mit Elementen/Plakaten aus seinen Kampagnen gegen (nationalistische) Strategien der Abkapselung. So finden sich unter anderem Plakate mit Aufschriften wie „No man is an island“, „Votiamo insieme. Votiamo per l’Europa“, „Putin, Trump, Le Pen und Höcke sind gegen die EU. Und wo stehst du?“, „What is lost is lost forever“, „Nicht wählen ist nicht neutral“ oder „Kein Bock auf Nationalismus“. Für Tillmans hat Kunst Position zu beziehen, gefragt sind soziales und politisches Engagement.

Einen politisch-sozialen Zugang zum Thema Ressentiment – wenngleich auf subtilere Weise – findet gleich neben Tillmans Arbeit das fragile Mobile des Berliners Raul Walch. Das frei hängende, ausbalancierte und luftige Gebilde hat Walch aus verschiedenen Materialien und Gegenständen geschaffen, die er vor Ort, hauptsächlich aber im Fundbüro von Meran angetroffen hat: einen Pophyrstein aus der Naif, Schlüssel, Textilien, Notizbücher ... Es sind Relikte, die auf unbekannte Präsenzen und Situationen verweisen, die in einem brüchigen Gleichgewicht sind: die Fragilität als Mahnung, wie leicht austarierte Gebilde aus dem Gleichgewicht zu bringen sind.

Mit flüchtigen menschlichen Präsenzen beschäftigt sich auch Francesca Grilli. In dem von ihr bespielten Raum finden sich die Basics von Flüchtlingen: Kamm, Zahnbürste, Hose, Seife ... Grilli, gebürtige Bologneserin, hat die Gegenstände in Bronze gegossen oder mit Bronze umschlossen, hält sie gewissermaßen fest als Zeichen einer neuen alten Identität.

Der gebürtige Mailänder Riccardo Previti (er lebt in Meran) spürt in seiner Arbeit „Fun with Flags“ dem Konzept der nationalen Herkunft nach: Die Flaggen einzelner Staaten, die sich feindlich gesinnt waren/sind, hat Previti überlappend auf Tischflächen gedruckt. Den Tisch als Symbol des Zusammenkommens, mit darauf arrangiertem Blumenschmuck, der gepflegt werden will, setzt der Künstler in Kontrast zur irritierenden LALALA-Sprühschrift auf der dahinterliegenden Wand (siehe Seite 38) – sie erinnert an die kindliche, laute Geste des Nicht-hinhören-Wollens. Das Ressentiment als Gefühl der Gegenwart – Previti bringt es leichtfüßig auf den Punkt.

Sprichwörtlich schwergewichtiger, wenngleich ironischer, kommt der österreichische Künstler Gernot Wieland daher. Sein ausgestelltes Modell für eine 22 Meter hohe Betonbuchstaben-Skulptur steht für das Ressentiment, das auch zur Inspiration von Humor werden kann (siehe Seite 38). Wobei der Humor umgekehrt auch als Reaktion auf besagten Gefühlszustand interpretiert werden kann. Es ist die vielleicht spielerischste künstlerische Position der Ausstellung, „ein sarkastischer Kommentar zum Verständnis von Witz in der Walheimat Wielands“, wie es treffend im Folder heißt.

Erwähnt sei an dieser Stelle noch die ebenfalls skulptural arbeitende Monika Sosnowska. Die Installation der polnischen Künstlerin arbeitet mit dem Gefühl des Platzmangels. Ihre Installation zeigt ansatzweise ein Labyrinth, das scheinbar viele Wegoptionen bietet, letztlich aber doch nur in Sackgassen mündet. Ein beengter Lebensraum – auch er kann schnurstracks zu jenem Gefühl führen, das der Ausstellung den Titel gibt – getreu der Definition des Schriftsellers Malachy McCourt: „Ressentiment, das ist, als ob du Gift zu dir nimmst und dann darauf wartest, dass die andere Person stirbt.“

Der poetischste Beitrag bei Kunst Meran kommt von Massimo Grimaldi (Mailand). Sein Wandtext, der je nach Lichteinfall mal mehr, mal weniger lesbar ist, setzt das Verschwinden einer Liebe in Zusammenhang mit dem Auftauchen eines bitteren Gefühls. Sein Name: Ressentiment.

Kunst Meran schließt sich mit dieser Ausstellung dem kunst-übergreifenden Projekt „Zeitworte/Parole del tempo“ des Alphabeta-Verlags rund um Aldo Mazza an. Gemeinsam mit Künstlerinnen soll Literatur, Kunst, Musik und Theater genreübergreifend sich einem Schlüsselwort unserer Zeit widmen. Eine löbliche Initiative, die die Brückenfunktion Südtirols zwischen verschiedenen Ausdrucksweisen, Sprachen und Kulturen einmal ernst nimmt.

weitere Bilder

  • Gernot Wielands Betonskulptur Christian Niccoli Francesca Grilli Monika Sosnowska

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