Kultur

Heruntergefahren

Aus ff 14 vom Donnerstag, den 02. April 2020

Julia Bornefelds Atelier
Julia Bornefeld ist mit dem Atelier in die Garage umgezogen: Eine ihrer letzten Arbeiten ist ein Objekt, das einem Virus ähnlich schaut. © Julia Bornfeld
 

Die Kultur steht still in diesen Tagen. Was das für Kulturschaffende bedeutet und warum sie um die Zukunft bangen.

Julia Bornefeld, 57, Künstlerin

Das Kunstwerk, das aussieht wie ein Virus, steht jetzt in der Garage. Dort, im Haus ihres Lebensgefährten in Bruneck, ist Julia Bornefeld gerade dabei, ihr behelfsmäßiges Atelier einzurichten. Das Atelier ist nicht erreichbar, allein in ihrer Wohnung wollte sie nicht bleiben. Vergangene Woche war es zu kalt, um in der Garage zu arbeiten, die Farben für die Arbeit hat sie ins Schlafzimmer und in den Hausgang gerettet.

„Mein Gehirn“, sagt sie, „arbeitet Tag und Nacht und ahnt vieles im Voraus. Man muss die Bilder, die einem kommen, ernst nehmen.“ Bornefeld ist eine der bekanntesten Südtiroler Künstlerinnen, man sieht ihre Arbeiten im öffentlichen Raum, als Ausdrucksform wählt sie gerne die Performance, sie arbeitet oft mit Gebrauchsmaterialien wie Gummireifen oder Nylonstrümpfen, erkundet Geschlechter- und Machtverhältnisse, die Spannungen der Zeit. Sie hat zwei Kinder, die es ihr nachgetan haben, ihre Tochter Elisa Alberti konnte jetzt nicht zur Eröffnung ihrer ersten größeren Ausstellung in der Galerie Prisma nach Bozen kommen.

Den Umzug ihres Ateliers hat Julia Bornefeld fotografisch festgehalten – sie überlegt, wie sich daraus eine Performance machen ließe. Noch sieht man auf den Bildern nur eine Garage, die mit Plastikplanen ausgeschlagen ist – sie will jetzt wieder mehr malen, man sieht das virusähnliche Objekt oder das Umzugsgut aus ihrem Atelier, dass sich im Kofferraum eines Lieferwagens drängt.

Das virusähnliche Objekt hätte im März in einer Galerie in Monza stehen sollen, einer Stadt in der Lombardei, dem Epizentrum der Coronapandemie. Bornefeld ist nicht mehr dazu gekommen, es zu liefern, die anderen Werke blieben hängen – niemand konnte sie sehen. Ähnlich verhält es sich mit einem Projekt in Mailand, Termine in Berlin und Kiel für neue Projekte sind ausgefallen, sie weiß noch nicht, was aus der Ausstellung in Lienz auf Schloss Bruck im Mai wird. „Ich versuche“, sagt sie, „die vielen Projekte für Kunst am Bau zu retten, bevor die Kunden mir weglaufen.“

Die finanziellen Reserven, erklärt sie, hielten gerade für ein paar Monate: „Im Moment ist der Ertrag gleich Null. Es wird sich jetzt rächen, dass man bis heute nicht imstande war, eine Künstlersozialversicherung aufzubauen wie in Deutschland oder Österreich.“

Kultur, sagt sie, sei wichtig für Seelen und Köpfe der Menschen, „sie kann über die Krise hinweghelfen.“ Doch manchmal sitzt sie da und versucht, die Gedanken aufzuhalten: „Ich möchte diese Krise, ehrlich gesagt, nicht bis zum Ende durchdenken. Was für eine Kettenreaktion löst das Virus aus, politisch, wirtschaftlich, sozial?“

Sie fordert: Die öffentliche Hand muss jetzt ein Hilfspaket für Kunst- und Kulturschaffende schnüren, wer kaufe jetzt schon Kunst und Galerien und Museen würden noch länger geschlossen bleiben: „Sonst geraten viele Kulturschaffende in zwei, drei Monaten in arge Not.“

Die Arbeiten von Julia Bornefeld findet man auf ihrer Website: www.juliabornefeld.com.

Luca D’Andrea, 40, Schriftsteller

ff: Hat die Krise auch etwas Gutes?

Luca D’Andrea: Gutes? Ich habe gerade die Nachricht bekommen, dass ein guter Freund von mir gestorben ist, mit 46.

Wozu sind Schriftsteller jetzt nütze?

Wir sind jetzt nützlich, wenn wir für ältere Menschen im Haus den Einkauf erledigen. Damit sie daheim bleiben. Ich sehe von meinem Fenster aus Leute, die sieben, acht Mal am Tag mit dem Hund Gassi oder jeden Tag einkaufen gehen.

Aber ein Gutes hat die Krise, die Luft ist sauberer?

Ich kann es nicht mehr hören. Was soll das Gutes haben, wenn Menschen zuhauf sterben? Wir erleben gerade einen Paradigmenwechsel und haben keine Ahnung, wo wir landen werden.

Sie klingen einigermaßen pessimistisch.

Ich bin nicht pessimistisch, aber als Schriftsteller rechne ich immer mit der menschlichen Natur. Ich sehe, wie wir uns verhalten. Europa sperrt die Grenzen, statt Solidarität zu üben. Man macht uns zu Kapos, die andere überwachen. Andere wiederum tun so, als hätten sie keine Angst, aber Angst ist ein gesunder Mechanismus, sie macht wachsam.

Was macht ein Schriftsteller in diesen Tagen?

Ich kaufe für andere ein, ich lese, ­Klassiker, Karl Ove Knausgard.

Schreiben?

Es ist nicht der Moment. Ich hatte schon vorher beschlossen durchzuschnaufen, nach vier Romanen in drei Jahren. Aber jetzt ist nichts mit Entspannung. Zumal mir vermutlich für das heurige Jahr 90 Prozent der Einnahmen wegbrechen. Trotzdem bin ich strikt dagegen, die Buchläden zu öffnen.

Das sagen Sie als Autor?

Ein Buch ist kein essentielles Gut wie Brot oder Benzin. Menschenleben aufs Spiel setzen, damit jemand die letzte Neuerscheinung, oder auch mein Buch, kaufen kann? Nein.

Hat Literatur eine Bedeutung?

Sie ist Unterhaltung. Sie hilft dir zu verstehen, wer der Mensch ist. Aber ich kapiere mehr von der Welt, wenn ich aus dem Fenster schaue und überlege, warum die Leute noch unterwegs sind, oder beobachte, wer uns regiert. Und ich sehe keine Flugzeuge am Himmel mehr – das erschreckt mich.

Von Luca D’Andrea erschien zuletzt bei Einaudi der Thriller „L’Animale più pericoloso“.

Harry Thaler, 45, Designer

Ob die Krise etwas Gutes hat? Ja, hm, ich habe Haus, Computer und Website aufgeräumt. Das mit dem Entschleunigen werden Sie auch schon von anderen gehört haben – so heruntergefahren wie in den vergangenen zwei Wochen war ich schon lange nicht mehr. Der Stillstand betrifft in erster Linie das Baugewerbe, aber auch das Produktdesign – alle warten ab. Ich arbeite an kleinen Sachen weiter, die die Kunden noch brauchen. Und suche nach neuen Möglichkeiten. Ein Kunde wollte einen Stuhl kaufen. Am Ende haben wir uns darauf verständigt, dass ich einen für ihn entwerfe und produziere.

Statt vor dem Computer sitze ich an meinem Skizzenbuch und entwickle neue Ideen. Auch das ist schon lange nicht mehr passiert, dass ich einen Nachmittag lang über einer Idee brüten kann. Zum Beispiel einem Seifenspender, der Plastik vermeiden hilft. Und unser kleiner Sohn freut sich total, dass die Eltern jetzt immer zuhause sind.

Ein Weilchen kann ich den Stillstand finanziell aushalten. Ich hoffe nur, dass er auch etwas Positives, ein Umdenken, bewirkt.

Harry Thaler hat 2019 für sein E-Bike („Pressed Bike“) den European Design Award erhalten.

Andreas ­Pichler, 52, Filmemacher

Ich schreibe schon seit ein paar Monaten an einem größeren Projekt für den Fernsehsender Arte. Also sitze ich ohnehin am Schreibtisch und skype viel mit den Kollegen. Ich sehe, dass sich jetzt ganz andere Möglichkeiten auftun: Eröffnungsreden von Festivals im Internet, Chatrooms, in denen man sich hinterher mit den Kollegen austauschen kann. Und ich bekomme erstaunlich viele Angebote, bei Internet-Projekten mitzumachen, ich bin an einem Projekt mit Filmemachern aus aller Welt beteiligt. Es wird wahrscheinlich die am besten dokumentierte Krise in der Weltgeschichte werden.

Mit den Dreharbeiten für das Arte-Projekt wollten wir Ende Juli beginnen, sie werden sich bestimmt um einige Zeit verschieben. Da wird es dann happig, was die Finanzen angeht – ich werde nur für die Entwicklungsphase bezahlt. Alle Leute, die am Set arbeiten wie Kamera-leute, haben jetzt einen totalen Arbeitsausfall, der schnell existenzbedrohend werden kann. Ähnliches gilt für Kinos und Filmverleiher.

Die Situation schlägt auf die Stimmung, aber dann gehe ich hinaus, wir – meine Frau, ich, die zwei Töchter – kochen gut, abends schauen wir eine TV-Serie an, wie „Babylon Berlin“ oder die „Heute Show“. Aber tendenziell geht es eher in Richtung leichtere Stoffe oder Komödien. Ein Film kann einen in einer guten Stimmung zurücklassen, ablenken.

Andreas Pichler hat zuletzt die Dokus „Alkohol – der globale Rausch“ und „Das System Milch“ gedreht.

Veronika Egger, 40, Musikerin

Veronika Egger: Jetzt haben Sie mich unterbrochen, ich habe gerade an einem Lied geschrieben.

ff: Was heißt das, wenn Sie nur daheim spielen dürfen?

Ich habe im Jänner und Februar immer ein Winterloch. Ich bin auf Null. Im März, April und Mai rette ich mich normalerweise aus dem Winterloch. Jetzt ist alles ein Fragezeichen. Zum Glück habe ich einen Halbtagsjob in einem Reitstall als Ausmisterin.

Sie haben keine Reserven?

Nein. Und jetzt sind drei Konzerte mit Ensemble Conductus, drei mit Opas Diandl und die Ostermesse im Bozner Dom flöten gegangen – ich leite seit zwei Jahren auch das Domorchester. Ganz schlimm war der Ausfall der Konzerte der Streicherakademie in Bozen und Toblach mit dem Violinisten Frank Peter Zimmermann.

Gibt es etwas, was Sie aufmuntert?

Ich verbringe viel Zeit mit den Kindern, mache mit ihnen Hausaufgaben. Aber gerade hatte ich eine ziemlich Wut und habe begonnen, ein Lied zu schreiben.

Wieso haben Sie eine Wut?

Vom Land bekommt man jetzt 600 Euro für ein Projekt. Aber ein Musiker, der nicht selber Musik schreibt, kann jetzt nicht einfach ein Projekt aus dem Boden stampfen. Oder scheut sich, wie ich, eine dilettantische Aufnahme mit dem Handy zu machen. Ich stelle ja auch nicht online, wenn ich beim Duschen singe.

Worum geht es in dem Lied?

Um die Schwachen und die Schüchternen, um die Bescheidenen, die sich nicht so trauen. Der Refrain geht so: Das ist mein stilles Plädoyer für die Schwachen und für die Schüchternen, für die Ehrlichen und die Bescheidenen, für die, den Druck nicht er--tragen, für die, die sich zurückziehen, weil sie nicht packen, immer laut zu sein, großkotzig und genial, halt normal.

Wie leben Sie?

Ich fühle mich gerade ein bisschen nutzlos. Ich lebe von Tag zu Tag. Und überlege, mir eine andere Arbeit zu suchen. Ja, es wäre willkommen, wenn die öffentliche Hand zeigen würde, dass sie wertschätzt, was -Künstlerinnen und Künstler tun.

Was kann Musik bewirken?

Wie wichtig sie ist, sieht man daran, wie viel Musik gerade konsumiert wird. Sie lenkt ab, beruhigt, bringt auf andere Gedanken. Vielleicht entstaubt gerade der eine oder andere auch sein Instrument.

Veronika Egger spielt Geige für Opas Diandl, Ensemble Conductus und die Streicherakademie Bozen.

Matteo Scagnol, 52, Architekt

Ich sitze im Büro und arbeite am Modell für eine Schule in Raas und an einem Projekt für ein Altenheim. Einige unserer 12 Mitarbeiter sind hier, einige arbeiten daheim. Arbeiten fällt mir leicht, es ist weniger stressig, ein bisschen wie früher, ma naturalmente è tutto un casino.

Wenn du viele Projekte hast, hängst du den ganzen Tag in der Videoschalte. Ich zeichne am Computer, aber ich halte lieber einen Bleistift in der Hand. Jetzt muss ich die Pläne digital abliefern – daran muss ich mich erst gewöhnen. Wir haben im Herbst einen großen Wettbewerb für eine große Schule in Mailand gewonnen, heute haben wir die Aufforderung bekommen, das Vorprojekt zu übergeben. Zum Glück.

Absurd ist, dass wir arbeiten, wie es gut und richtig wäre, mit mehr Ruhe. Zeit ist wertvoll in der Arbeit eines Architekten, aber normal haben es alle eilig.

Die Arbeit gibt mir Zuversicht, sie lindert meine Unruhe.

Ich bin besorgt, was die wirtschaftliche Seite angeht. Ein Hotel, das wir geplant haben, ist in Standby. Öffentliche Arbeiten sind ein Fragezeichen. Wir wollten etwa vergangenen Samstag die Cusanus-Akademie nach dem Umbau wieder eröffnen: Es steht alles still. Im Moment sagen alle: Weiter machen, weiter machen, es wird schon gehen. Aber dass die Krise eine Chance ist, kann ich mir nicht vorstellen. Ich sehe keine Chance, ­sondern nur Krise.

Ich versuche, die Projekte zu Ende zu bringen, die wir in Arbeit haben, um wenigstens einen Teil des Honorars eintreiben zu können. Bis Jahresende können wir durchhalten, aber dann? Ich sage es nicht gerne: Wir werden Opfer bringen müssen.

Von Matteo Scagnol und Sandy Attia (Modus Architects) stammt unter anderem der Entwurf für die Edelrauthütte.

Margot Mayrhofer, 42, Schauspielerin

Wir haben zwei Kinder, wir müssen uns also eine Struktur geben.

Meine nächste Produktion wäre „Die Niere“ in der Carambolage in Bozen. Probenbeginn: 30. März, Premiere: 8. Mai. Daraus wird wohl nichts. Wir rechnen auch damit, dass Sommerproduktionen ausfallen – wir hängen alle in der Luft.

Ich habe momentan null Einkommen, außer für die „Spielzeit“, das Theatermagazin auf Rai Südtirol, das ich moderiere. Wenn wir das nächste Engagement erst im Herbst haben, ist es bitter für die Haushaltskasse, für mich und meinen Mann, Lukas Lobis, der ja auch Schauspieler ist. Wir bauen gerade. Es ist also sowieso eine Zeit, die finanziell happig ist. Noch geht es, aber wie’s weitergeht, hängt davon ab, wie lange die Theater zu sind. Schauspieler haben zur Zeit viel Zeit.

Ich übe wieder mehr Cello, mache online Yoga, erledige mit den Kindern die Hausaufgaben, es ist jetzt die Zeit, um die Wohnung zu entrümpeln oder Fenster zu putzen – langweilig wird mir nicht. Ich bin froh, dass es in der Familie funktioniert, dass jemand da ist, mit dem man den Tag besprechen kann. Zum Glück fällt den Kindern die Decke nicht auf den Kopf, auch wenn ihnen komischerweise die Schule, die Gemeinschaft, abgeht. Wir versuchen, uns eine Struktur zu geben, es uns daheim gut gehen zu lassen, ein bisschen Unbekümmertheit zu schaffen.

Mal sehen, wie das Land die Künstler unterstützen wird, wenn die Krise vorbei ist. Kleine Theater kämpfen jetzt schon überall ums Überleben. Unterstützung von der öffentlichen Hand wird es auf jeden Fall brauchen.

Margot Mayrhofer hat in Südtirol schon für die Dekadenz in Brixen, die Carambolage in Bozen und die Vereinigten Bühnen Bozen gearbeitet.

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  • Luca D’Andrea Veronika Egger Matteo Scagnol

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