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Kultur
Erklär mir den Beethoven!
Aus ff 34 vom Donnerstag, den 22. August 2024
Der Pianist Filippo Gorini, 28, macht die klassische Musik niederschwellig. Zwei Wochen lang spielt er im Rahmen des -Bolzano Festival Bozen Beethoven oder Schubert im Premstaller-Park, in der Stadtgalerie oder in der Rittner Seilbahn und sucht das Gespräch. Am 26. August gibt er ein Konzert im Dominikaner-Kreuzgang mit Werken von Berg, Beethoven und Schubert (www.-bolzanofestivalbozen.eu).
Es ist das Vorspiel für ein größeres Projekt, der „Sonata for 7 Cities“, wo er 2025 Städte wie Mailand, Hongkong oder Wien nicht flüchtig für ein Konzert streift, sondern einen Monat lang bleibt und Musik spielt und erklärt. „Ich will“, sagt er, „auch für Leute spielen, die sonst keinen Zugang zur Klassik haben.“
Wir treffen uns mit ihm in der Stadt-galerie in Bozen. Dort sieht man neben der Ausstellung über Busoni auch Gorinis TV-Serie mit vielen Zugängen zur „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach.
Gorini, in der Nähe von Mailand aufgewachsen, ist einer der bekanntesten jungen italienischen Pianisten. Seine Eltern sind beide Atomphysiker. Wenn er über seine Arbeit spricht, legt er manchmal die Hand aufs Herz. Er sagt: „Ich bin, bei allem Erfolg, immer noch ein Auszubildender.“
ff: Wann hat die Beschäftigung mit dem Klavier begonnen?
Filippo Gorini: Im Alter von fünf Jahren. Es gab ein Klavier daheim. Mein Vater hat Klavier gespielt, mein Bruder auch – er hat aber Mathematik studiert.
Was war das für ein Gefühl?
Es hat mir gefallen, war aber eine von vielen Aktivitäten. Irgendwann, erinnere ich mich, hat das Klavierspielen begonnen mich zu langweilen. Auch weil mein Lehrer mich immer nur einfache Stücke hat spielen lassen. Als ich Beethoven entdeckt und stundenlang studiert habe, hat sich die Leidenschaft entzündet.
Sie haben etwas Komplizierteres gebraucht?
Es ist nicht das Instrument an sich oder das Spielen des Instruments, das mich erobert hat, sondern das Repertoire. Die Musik von Beethoven, Schubert, Bach oder Brahms ist ein Wunder, das mich bei der Sache hält.
Ein Wunder?
Ich kenne diese Werke seit zwanzig Jahren, studiere sie seit zehn Jahren intensiv. Und ich finde die Schönheit, die sich darin verbirgt, jedes Mal wieder unglaublich, etwas, von dem man gedacht hat, das kann es auf dieser Welt eigentlich gar nicht geben.
Wann haben Sie daran gedacht, das Klavierspielen zum Beruf zu machen?
Ernst wurde es in der Mittelschule, da habe ich gewagt, davon zu träumen, Pianist zu werden. Daran geglaubt habe ich nach dem ersten Preis bei einem Klavierwettbewerb mit sehr hohem Niveau in Moskau. Das war 2013, da war ich 18 und das erste Mal der Musik wegen im Ausland. Beim nächsten Wettbewerb, den ich gewonnen habe, wusste ich, es gibt einen Platz für mich als Berufsmusiker.
Was braucht es dafür?
Ich frage mich jeden Tag neu: Was kann ich, was fehlt mir, woran muss ich noch arbeiten? Die Liebe zu den großen Werken, die sich in mir im Alter von elf Jahren entzündet hat, treibt mich an, mich jeden Tag vor das Klavier zu setzen. Es braucht eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstkritik. Man muss ein Verständnis haben für einen schönen Ton und ihn mit Sinn füllen, den Emotionen entsprechend, die in der Komposition liegen. Es braucht eine sehr genaue Lektüre der Partitur, jedes Zeichen hat ein Gewicht und einen Sinn. Und man muss eine Persönlichkeit entwickeln, die imstande ist, die Tiefe der Musik an das Publikum weiterzugeben und es zu bewegen.
Wie viele Stunden am Tag verbringen Sie vor dem Klavier?
Vier bis fünf. Das reicht, wenn die Arbeit zielgerichtet ist. Mehr, bin ich draufgekommen, ist in meinem Fall nicht produktiv. Es muss Zeit bleiben für den Rest, von dem sich ein Künstler nährt – den Alltag, Konzert- oder Museumsbesuche, Austausch. Es braucht, um Musik zu machen, ein Leben neben der Musik.
Ist Musikmachen Mühe oder Lust?
Zweifelsohne Lust. Ich bin so froh, mich jeden Tag ans Klavier setzen und die Musik spielen zu können, die ich mag. Das ist das, was ich will. Es ist Musik, die das Herz füllt, das Leben erleuchtet, den Tagen einen Sinn gibt. In der Musik steckt viel, der Dialog mit dem Tod oder dem Schmerz. Ihr Ursprung ist oft eine Wunde, ein Schmerz, das Leiden an der Welt, so als wäre die Musik eine Heilung für diese Wunde. Diese Musik zu spielen, heißt auch, diesem Schmerz nachzufühlen.
Wenn Sie spielen, wer sind Sie dann?
Bis zu einem gewissen Punkt erkenne ich mich wieder, wenn ich mir hinterher anhöre, was ich gespielt habe. Aber es kommt vor, besonders bei Konzerten, dass ich von der Welt um mich nichts mehr mitbekomme und ich die Kontrolle verliere.
Was finden Sie von sich wieder, wenn Sie sich anhören, was Sie gespielt haben?
Sie wollen, dass ich mich selbst beschreibe. Ich erkenne mich wieder als Kind, das sich mit großen Dingen beschäftigt. Ich sehe die Fähigkeit, mich auf dem Klavier in einem breiten Spektrum auszudrücken, vom Dialog mit dem Schmerz bis zum Gegenteil, wenn in der Musik das Licht aufleuchtet. Ich höre meine andere Passion zur Logik und Mathematik heraus. Es gab einen Punkt in meinem Leben, an dem ich mich entscheiden musste: Werde ich Musiker oder Mathematiker. Sie haben viel gemeinsam.
Warum?
Nicht, weil sich die Musik auf eine mathematische Formel reduzieren ließe. Sondern weil ein Musiker wie ein Mathematiker die Fähigkeit haben muss, logische Strukturen zu erfassen und gleichzeitig eingefahrene Denkmuster zu überschreiten. Beide wiederholen nicht einfach, was andere schon gedacht oder gespielt haben.
Sie reden auch gerne über Musik. Genügt es nicht, sie anzuhören?
Musik erklärt sich von allein, wenn jemand genügend Zeit aufwenden kann, sie zu hören, sich mit ihr zu beschäftigen – ich habe allein mit Beethoven Tausende von Stunden verbracht. Es gibt genügend Material, das Musik erklärt. Aber es ist ähnlich wie beim Besuch einer Ausstellung. Ein Bild spricht für sich, aber eine Erklärung kann uns dazu bringen, uns genauer mit ihm zu beschäftigen, Dinge zu erkennen, die uns nicht aufgefallen wären. Eine Erklärung hilft, wenn wir wenig Zeit haben, uns mit Musik zu beschäftigen, unser Gehör scharf zu stellen, die Tür weit aufzustoßen.
Was sagen Sie jemandem, der Sie fragt: Warum soll ich Klassik hören?
Weil sie unser Leben mit Schönheit und Sinn füllt, weil sie uns berührt, weil sie das Denken anstößt, unsere Persönlichkeit erweitert. Sie zeigt uns etwas von uns genauer, was wir schon kennen, oder auch Seiten, die uns unbekannt sind. Sie erschüttert uns. Es ist die Möglichkeit für ein Zwiegespräch mit einer starken Persönlichkeit, sei es aus der Vergangenheit, sei es aus der Gegenwart. Wenn wir von Klassik reden, sprechen wir von Werken, die unbeschadet die Zeit überstanden haben, weil sie Tiefe besitzen. Die Klassik verbindet uns mit dem Menschsein in seiner Essenz.
Was muss man tun dafür?
Das Herz öffnen.
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