Leben

Der Hofnarr ist los

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Markus Falk
Markus Falk: „Ich gehöre nie nirgends so richtig dazu, aber ich bin auch nie ganz ausgesondert.“ © Privat
 

Der Brunecker Biostatistiker Markus Falk rechnet viel und redet gern: Facebook hat Falks Account ­mitten in der Coronakrise gesperrt. Weil Falk ein Provokateur ist.

Ein Porträt?“, fragt Markus Falk am Telefon. „Fragen Sie mich dann nach meiner Lieblingsfarbe und mit welcher Frau ich zuletzt zusammen war?“. Falk ist skeptisch, was den Nutzen dieses Unterfangens anbelangt. Schließlich seien in dieser Zeit vor allem Informationen gefragt.

Viele Südtiroler kennen Markus Falk, seit er sich in den
sozialen Netzwerken in Sachen Corona zu Wort gemeldet hat. Als im Februar die ersten Fälle in Italien auftraten, tat er, was er immer tut: Er rechnete. Genauer gesagt, er ließ seinen Computer rechnen, damals noch in Wien, seiner zweiten Heimat.

Markus Falk ist Biostatistiker. Eine komplexe Arbeit: Er wertet die Zahlen medizinischer Studien aus. Für Corona hatte er, ohne genau zu wissen, warum, die passenden Modelle. Er erschrak, als er sah, dass er mit seinen Prognosen immer wieder richtig lag. Und was das bedeuten musste.

Also machte er sich daran, zu warnen. Auf seine Art. Stets in Schwarz gekleidet (womit sich das mit der Lieblingsfarbe erübrigt), rasierter Schädel, ergrauter Bart, Ohrringe und markante Brille – dem Stil nach irgendwo zwischen Neunzigerjahre-Techno und Harley Davidson. Täglich, manchmal stündlich präsentierte Falk auf Facebook seine Statistiken: Infizierte, Neuansteckungen, Reproduktionswerte – in Südtirol, Italien, weltweit. Dazu jeweils ein kurzer Kommentar, eine Prise Ironie, öfters mitunter bissige Seitenhiebe in Richtung Verantwortungsträger. Von „Arschlöchern“ ist die Rede, und von „Superfurbi“, die das Virus weiterverbreiten.

Über 10.000 Menschen verfolgten seinen Facebook-Auftritt. Bis Falks Account am 2. April plötzlich gesperrt wird: Den Hütern der Netzwerk-Richtlinien war er offenbar zu derbe. Falk zog um, wechselte den Kanal. Seither bedient er sein Publikum über eine Gruppe der Nachrichten-App telegram, die, Stand
20. April, rund 2.800 Mitglieder zählt.

Ist Markus Falk ein Aufklärer oder Aufreger? Ist er abgehoben oder wird er einfach missverstanden? Als ff das erste Mal mit ihm telefoniert, sitzt er am Computer, „so wie immer in letzter Zeit“. Er sei in das Gerät hineingewachsen oder es in ihn. Dass er nicht ganz normal ist, sei ihm bewusst, das war immer schon so. In Zeiten größerer Exposition falle das aber mehr auf. „Es gibt zwei Arten von Falks“, sagt er. „Absolute Gewinner und absolute Verlierer.“ Daneben noch die, die still im Kämmerlein sitzen, aber von denen höre man nichts. Klingt, als wüsste er sich selber bestens ins Familienschema einzuordnen. Es ist die nüchterne Einteilung eines Mathematikers.

An der Mathematik hatte ihn ursprünglich „die Schönheit, das Pure“ fasziniert. In seinem Fach läuft Falk zur Hochform auf. „Der beste Biostatistiker, den ich kenne. Weit über Südtirols Grenzen hinaus“, sagt Hermann Brugger, Leiter des Institutes für Alpine Notfallmedizin an der Eurac. Die beiden kennen sich schon seit Jahrzehnten, haben gemeinsam publiziert, die Welt bereist, sie sind einen Teil ihres Lebensweges miteinander gegangen, wie Brugger sagt. Auch weiterhin? „Ja...“, Brugger zögert kurz. „Fachlich wüsste ich keinen Besseren, auch menschlich ist der Markus ausgezeichnet.“

Aber die Sache mit den Social-Media-Auftritten schmeckt ihm nicht. Was Falk dort macht, hält Brugger weder für notwendig noch für zielführend, die Sprache in den Auseinandersetzungen ist ihm zu aggressiv. Gemeint sind verbale Ausfälle unter der Gürtellinie, etwa in Richtung des Sarner Immunologen Bernd Gänsbacher oder der Pusterer Primarin Dagmar Regele.

Warum also wird einer, der es gewohnt ist, vor wissenschaftlichem Publikum zu sprechen und auf hohem Niveau zu diskutieren, im Internet „norrat“?

Falk spielt die Rolle des Hofnarren. Er zelebriert sie bewusst. Mit Kalkül.

Im Mittelalter genossen Hofnarren besondere Freiheiten: Sie durften kritisieren und beleidigen, alles und jeden. Eigenwillige Zeitgenossen, in ihrer Funktion aber wichtiger Bestandteil der höfischen Gesellschaft. Falk sieht seine Rolle in der derzeitigen Covid-Gesellschaft ähnlich.

Er will aufrütteln. Von Berufs wegen ist er es gewohnt, Kritik zu üben. Das Beurteilen wissenschaftlicher Publika-
tionen (Review) gehört zu seinen Hauptaufgaben. Er liest tonnenweise Fachliteratur („Romane ermüden mich fürchterlich, da kenne ich die Geschichte meistens schon, bevor sie fertig ist“). Und dabei gehe es nun mal darum, schonungslos zu kritisieren, Lob wäre falsch. Als Biostatistiker lebe man ohnehin in einer ganz anderen Welt, die den Normalsterblichen nicht bewusst sei: „Bei uns gibt es keine Wahrheit, wir wissen nur, was falsch ist.“

Es sei Markus Falk egal, was andere von ihm denken, sagen andere über ihn. Er vertritt überzeugt seine Standpunkte, die Kampfeslust merkt man ihm an. Er will gefordert werden, er will spielen, er will streiten. Die Biostatistik-Vorträge an der Landesfachhochschule Claudiana in Bozen sind ihm zu simpel („Wald-und-Wiesen-Vorlesungen“). Er möchte lieber eine „High-End-Vorlesung, wo wirklich Neues präsentiert wird, vor handverlesenen Studenten“ machen. Seiner Sache ist sich Falk sicher: „Meine Kompetenzen schützen mich. Ich bin nicht auf dem Nudelwasser dahergeschwommen.“ Im Vergleich zu seinen Internetauftritten ist der Querulant am Telefon viel ruhiger; trotz seiner Sprachspielchen erstaunlich direkt, sehr konkret – er lässt sich auf sein Gegenüber ein.

Wenn er darüber klagt, dass es heutzutage keine wissenschaftliche Gemeinde im klassischen Sinne mehr gebe, klingt das ehrlich. Er bedauert „konservative Wissenschaftskreise“, vermisst den Streit um der Sache willen, das sich gegenseitig befruchtende Argumentieren. Auch deshalb will er einen Kurzschluss provozieren. Markus Falk gefällt sich in der Rolle des Außenseiters, er kokettiert mit dem Charme des freien Radikalen. Er möchte gehört werden, aber auch alles sagen dürfen. Vor allem aber will er eines vermeiden: Vor irgendeinen Karren gespannt zu werden. So war er beispielsweise zu Beginn der Coronakrise Teil einer Whatsapp-Gruppe, in der er Landeshauptmann, Sanitätslandesrat und Sanitätsdirektor mit Schätzungen versorgen sollte. Ganze zwei Tage hielt er dort aus, ehe er sich mit den Worten „ihr Superfurbi“ verabschiedete.

Jetzt tauscht er zwar weiterhin ab und zu mit Landesrat Thomas Widmann Informationen aus, von Dialog im Sinne eines Engagements könne man aber nicht sprechen: „Das will ich nicht, denn dann wäre ich sofort Teil der Mannschaft und damit auf einem Auge blind.“ Falk drückt sich sehr gerne in Gleichnissen aus: „Entweder lenken oder schieben, der Reviewer kann nicht auch die Zeitung herausgeben.“

Es sind solche Episoden, die die Meinungen über die Person Markus Falk auseinandergehen lassen. Für die einen ist er ein obskurer Schreier, für die anderen einer, der sagt, wie es wirklich ist. Was dabei untergeht, ist eine andere, zugänglichere Seite des Pusterers.

Manche seiner Studenten in der Claudiana, bei denen er nicht unbeliebt ist, nennen ihn „DJ of the night“. Aufgrund seines Auftretens und seines makellosen Hochdeutsch fragen sie sich, ob er jedes Mal direkt von einer Berliner Party in die Vorlesung geflogen kommt. Womit sie nicht falsch liegen: In den Neunzigern organisierte Falk im Pustertal immer wieder riesige Raves. Der Name des veranstaltenden Clubs: Größenwahn.

Einen Ruf als Größenwahnsinniger zog sich Falk gewissermaßen auch in der Impfdebatte zu, rechnet man ihm doch immer wieder zum Lager der Impfgegner. Auch das erklärt er mit einer bewussten Entscheidung: „Das hat damit zu tun, wie ich es einfädle.“ Er wolle sensibilisieren, das Impfen an sich sei zu befürworten, die Pflicht für alle hingegen nicht. Vielmehr müsse man daran arbeiten, dass die Bevölkerung wieder Vertrauen schöpfen kann, jeder von sich aus impft. Aber das wolle ja niemand hören.

Hört man ihm nicht zu, wird der Biostatistiker laut. „Wenn du fest auf den Tisch schlägst, ist die Hälfte beleidigt, die andere aber fängt an nachzudenken. Und diese Hälfte könnte was initiieren.“ Da ist er dann wieder, der Pädagoge, der sich mit Till Eulenspiegel vergleicht. Die erziehende Seite des Kaspers, die sich ärgert, wenn sich namhafte Wissenschaftler in Krisenzeiten in den sicheren Hafen des Altbekannten flüchten, „nur das lesen, was man schon kennt.“ So komme man nicht weiter, besonders nicht bei Covid-19. Dagegen will er vorgehen. Die Bevölkerung aufklären, die Verantwortlichen aufrütteln.

Vorhang auf!

Markus Falk, 52, hat Mathematik in ­Innsbruck studiert, weil ihm nichts ­Besseres eingefallen ist. Dort siedelte er sich recht schnell am Institut für Biostatistik an, weil er „bei bestimmten ­Vorlesungen blöde Fragen stellte“. Vom Assistenten stieg er bald zum interimistischen Leiter auf, folgte dann ­allerdings seinem Doktorvater nach München. Lange hielt er es aber auch dort nicht aus. Er versuchte sich in den ausgehenden Neunzigern als Unternehmer, gründete die Softwarefirma Inova Q mit. Heute lebt Markus Falk, zum dritten Mal verheiratet, in Bruneck und Wien, ist freier Mitarbeiter an der Eurac und Dozent an der Claudiana in Bozen

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.