Leben

„Piccolo grande capo“

Aus ff 27 vom Donnerstag, den 08. Juli 2021

Engelbert Schaller
„Ich hatte einen schönen Job“: Engelbert Schaller am Eingang zum Sitz der Personalabteilung in der Rittnerstraße (Archivbild). © Alexander Alber
 

Engelbert Schaller war der Herr über 18.000 Landesbedienstete. Anstatt die Rente zu genießen, muss er 136.000 Euro zurückzahlen. Höchste Zeit für einen Rückblick.

Wer groß gewachsen ist, hat Statur, wird also ernst genommen. Dieser vermeintlichen Binsenweisheit zufolge wird von den „corazzieri“, der Leibgarde des Staatspräsidenten, eine Körpergröße von 1,90 Metern verlangt. Baumlange Kerle braucht es anscheinend, um zu repräsentieren, Eindruck zu machen, Angst einzuflößen. Anderswo mag man das lockerer sehen, aber die „positive Korrelation von Karriere und Körpergröße“ wurde – zumindest bis vor Kurzem – auch in Seminaren für Führungskräfte als „förderlich für den Sprung nach ganz oben“ erwähnt.

Die erste Erfahrung mit diesem queren Leitsatz machte Engelbert Schaller, als er gerade mal 15 war und soeben die Mittelschule in Bruneck abgeschlossen hatte. Jahrgang 1948, aufgewachsen auf einem Kleinbauernhof in Gsies, war Engelbert der Einzige der acht Geschwister, der später „etwas studieren“ sollte. Der Weg dorthin, so wollte es sein Vater, sollte über das Vizentinum in Brixen führen. Aber daraus wurde nichts. Der Grund: Als der dortige Regens den kleinen und schmächtigen Engelbert zu Gesicht bekam, fragte er nicht lange, sondern verabschiedete ihn sogleich mit den Worten: „Der Bub soll noch Knödel essen. Er versuche es in einem Jahr wieder.“

Ist es das, was ihn seither antrieb? Engelbert Schaller ist einer, der nachdenkt, bevor er antwortet. Zum Nachdenken hat er derzeit viel Zeit: Das Treffen mit ihm fand im Reha-Zentrum Salus in Prissian statt. Für Schaller ist diese Struktur zu einer Art zweiter Heimat geworden, seit es bei einer Hüft-Operation zu Komplikationen gekommen ist und er unfreiwillig zum Stillhalten gezwungen wurde: Als er 2015 in Rente ging, hatte er andere Pläne.

„Manchmal ist es lustig zu sehen, wie die Leute so ticken“, sagt Schaller und erzählt eine Episode, „die vielleicht typisch ist“. Chefsekretärin Ingrid Gufler, seine rechte Hand über all die Jahre, hatte einen wichtigen Termin eingetragen. Nach dem Termin geht er mit dem Gast noch kurz in die Raiffeisenbar, und dort beichtet ihm dieser ein kleines Geheimnis: „Herr Schaller, ich hatte Sie mir irgendwie XXL vorgestellt. Stattdessen ...“

Stattdessen zeigte der 1,59 kleine Mann schon in jungen Jahren, „wo der Bartl den Most holt“ – etwa beim Fußballspielen, wo er fehlende Größe mit Technik und Schnelligkeit locker wettzumachen verstand. Schaller kickte nicht nur, sondern kümmerte sich auch um das Drumherum: Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass Gsies endlich zu einem eigenen Fußballplatz kam. Probleme sind da, um gelöst zu werden. Als er nach Padua ging, um Rechtswissenschaften zu studieren, kam er drauf, dass er ein Staatenloser war. Seine Eltern hatten 1939 für Deutschland optiert. Dreißig Jahre später war dieses Problem immer noch nicht aus der Welt geschafft: Dann nahm sich Engelbert der Sache an, und plötzlich waren die Schaller „cittadini italiani“. Die schmerzliche Nebenwirkung der Einbürgerung: Mitten im Studium musste er zur „naia“ einrücken.

Bei diesem Mann ist vieles auf geradezu verblüffende Art linear. Zum Beispiel der Übergang von der Universität direkt in die Landesverwaltung: „Ich hab grad fertig gemacht, da habe ich erfahren, dass sie im Rechtsamt einen Juristen suchen, also bewarb ich mich und wurde prompt genommen.“ Andere machen mal dies, mal jenes, probieren, wechseln, zögern: Engelbert Schaller scheint immer schon gewusst zu haben, was aus ihm werden soll. Und so kam der frischgebackene Jurist im Jahr 1977 unter die Fittiche von Giovanni Salghetti-Drioli, dem damaligen Chef des Rechtsamtes in der Landesverwaltung und späteren Bozner Bürgermeister.

„Linear“ erfolgte auch die Übersiedlung vom Norden des Landes in den tiefsten Süden: 1980 heiratete er Margit Giacomozzi – und plötzlich war er nicht mehr im Gsieser Tal zu Hause, sondern in Kurtinig. Der Pusterer war sozusagen zum Unterlandler mutiert.

Spricht man mit ihm über seine bemerkenswerte Karriere, so scheint es zwei Dinge zu geben, die über allen anderen stehen: die Landesverwaltung und der Fußball (wobei die Reihenfolge vermutlich austauschbar ist). „Ja, der Fußball hat mich immer ganz schön ausgefüllt“, sagt Schaller und erinnert daran, wie er über Pichl/Gsies und Sand in Taufers, wo er als Flügelflitzer selbst auf dem Feld stand, zuerst zum Landesverband, dann zum FC Südtirol kam. Beim einzigen Proficlub des Landes hat sich Mitgesellschafter Schaller, der ein enger Freund des 2009 verstorbenen FCS-Präsidenten Leopold Goller war, vor allem für den Jugendbereich eingesetzt. Es dürfte auch wenig verwundern, dass er beim Neubau des Stadions in Bozen die Fäden zog – diskret im Hintergrund, versteht sich.

Wenn man ihn sonntags sah, wie er auf der Tribüne seinen FCS anfeuerte – oft selbst im rot-weißen Dress –, mochte man nicht meinen, dass es derselbe Mann war, der während der Woche von seinem Büro in der Rittnerstraße 13 aus, gleich neben Bahnhof und Raiffeisenbar, ein Heer von 18.000 Landesbeamten kommandierte.

Schaller hatte beim Land keine Blitzkarriere hingelegt, aber elf Jahre nach seinem Eintritt in die Landesverwaltung stand er als Abteilungsdirektor bereits so gut wie an der Spitze der Pyramide. Personalchef der Landesbediensteten zu sein, war, wie er heute sagt, sein Traumberuf: „Ich weiß, dass die meisten Juristen lieber eine eigene Kanzlei eröffnen, aber ich bin nicht der Typ dafür. Beim Land für das Personal verantwortlich sein zu dürfen, das war wirklich ein schöner Job. Und ich denke, sagen zu können, dass ich mir auch einen gewissen Namen gemacht habe.“

Einen Namen gemacht? Engelbert Schaller tut gern tiefstapeln: Als Personalchef war er geschätzt, aber auch gefürchtet. Spricht man mit Gewerkschaftern, die viel mit ihm zu tun hatten, beschreiben sie ihn als „Chef vom alten Schlag“, der Probleme „mit seiner paternalistischen Art“ gelöst habe. „Piccolo grande capo“ nannten ihn die Landhäusler, oder – freilich hinter vorgehaltener Hand – auch schon mal „piccolo Führer“.

Dabei war Schaller zunächst kein Liebkind von Luis Durnwalder. Es heißt, der damalige Landeshauptmann habe einige Jährchen gebraucht, um mit seinem Personalchef „warm zu werden“. Ein Grund könnte sein, dass Schaller nicht Mitglied der SVP war (das wurde er erst, als er 2010 für die Dorfliste Auer kandidierte – und in den Gemeinderat gewählt wurde). Aber sobald das Eis dann gebrochen war, gehörte -Schaller zu Durnwalders allerengsten Vertrauten in der Landesverwaltung. Ja, es hat vermutlich nur ganz wenige Spitzenbeamte mit einer solchen Machtfülle gegeben wie Engelbert Schaller. Man sagt, Durnwalder habe ihm „die Lizenz gegeben, beim Personal für gutes und schlechtes Wetter zu sorgen“.

Schaller sei „ein Meister beim Lösen selbst schwierigster Fälle“ gewesen (und davon gibt es in der Beamtenschaft viele), aber er habe „auch richtig streng sein können“. Bei der großen Personalreform 1992 war er einer der Einsager und Drahtzieher – und bildete gemeinsam mit dem damaligen Generaldirektor Heinrich Auckenthaler, dem Direktor der Abteilung Informatik, Hellmuth Ladurner und Finanzchef Carlo Corazzola die sogenannte Viererbande, an der sich die Gewerkschafter die Zähne ausbissen.

Jene Personalreform gilt italienweit heute noch als Benchmark, als beispielgebend für andere öffentliche Verwaltungen. Erstmals wurden Führungsbeamte mit besonderen Zuständigkeiten ausgestattet, ihr Entscheidungsspielraum wurde vergrößert. Und es wurde der Grundsatz eingeführt: Wer mehr leistet, soll auch besser entlohnt werden.

Sogar Gewerkschafter schwärmen heute noch vom Motivations-schub, den jene Reform in der Beamtenschaft bewirkt habe. Bei Schaller selbst löst die Sache inzwischen gemischte Gefühle aus: „Zum einen bin ich schon ein wenig stolz, an dieser Reform mitgewirkt zu haben. Zum anderen tut es sehr weh zu sehen, wie ich jetzt dafür abgewatscht werde.“

Engelbert Schaller gehört zu jenen Spitzenbeamten in der Landesverwaltung, die vom Rechnungshof zur Bezahlung des von ihnen verursachten „Schadens“ verurteilt worden sind. Die Justiz ist zum Schluss gekommen, dass die Handhabe der Sonderzulagen nicht rechtens war.

Die Landesverwaltung verteidigte sich, zeigte auf, dass mit den Zulagen sogar Einsparungen erzielt wurden, da die Spitzenbeamten ja auf Zeit bestellt waren und nicht wie beim Staat unbefristet. Nichts zu machen: Schaller wurde zur Bezahlung von 136.000 Euro verdonnert.

„Was weh tut, ist vor allem die Tatsache, dass diese Sache mit den Sonderzulagen, die ja per Landesgesetz eingeführt worden ist, seit 1992 immer akzeptiert und auch im jährlichen Bericht des Rechnungshofes immer gutgeheißen wurde – und jetzt plötzlich wird sie als illegal befunden.“ Erst als er sich anschickte, nach über 30 Jahren Arbeit in der Landesverwaltung in Rente zu gehen, wurde er vor den Kadi gezerrt. Die Strafe zahlt Schaller ratenweise ab.

Bei diesem Thema merkt man, wie verbittert Schaller ist. Alles konnte er wegstecken, selbst die höllischen Schmerzen nach der Hüftoperation scheinen ihm bloß eine Randbemerkung wert zu sein, verglichen mit dieser „Demütigung“, wie er die Verurteilung empfindet.

Ob er glaubt, Fehler gemacht zu haben? In seiner Antwort bleibt er vorsichtig, um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er wolle nachtreten oder Verantwortung abwälzen: „Ja sicher war es ein Fehler, die Kompetenzen vorab nicht mit dem Rechnungshof abgeklärt zu haben. Ja, das war einer meiner Fehler. Außerdem war es ein Fehler, die Versicherung nicht früher abgeschlossen zu haben.“

Andererseits, wer konnte wissen, dass die autonomen Befugnisse Südtirols doch nicht so abgesichert sind, wie sie gern dargestellt werden? Wer konnte wissen, dass für die Justiz die staatliche Verwaltung das Maß der Dinge ist – und alles, was nicht so läuft wie bei Vater Staat, abgestraft wird?

„Reden wir von etwas anderem“, sagt Engelbert Schaller plötzlich – und kommt wieder auf jene „schöne Zeit“ zu sprechen, die er in den vielen Jahren in der Landesverwaltung erlebt hat: „Freitags nach Feierabend mit Kollegen noch auf ein oder zwei Gläschen in die Raiffeisenbar gehen: Das war einfach bärig. Das ist es, was ich in Erinnerung behalten will. Nicht das Urteil des Rechnungshofes.“

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