Leitartikel

Man reibt sich die Augen

Aus ff 02 vom Donnerstag, den 12. Januar 2017

Leitartikel
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Das neue Jahr beginnt, wie das alte geendet hat – mit den üblichen Südtiroler Befindlichkeiten und Streitereien. Was ist bloß los mit diesem Land?

Das politische Südtirol im neuen Jahr: Bahnhofsareal Bozen, internationale Ausschreibung oder gemischtes Finanzierungsmodell? Bozner Bürgermeister droht mit Rücktritt. Die SVP sucht einmal wieder Ecken und Kanten – aber woher nur sollen sie kommen? Zu wenig Hausärzte für Südtirols Patienten – wird der Notstand zum Normalzustand? Wohin mit den Flüchtlingen? Gehälter der Landesregierung, kürzen ja, nein? Kurzum, es herrscht das übliche Gezänk und Gezeter, und da kann man schon mal fragen, was von den guten Vorsätzen der politisch Verantwortlichen für 2017 eigentlich übrig ist – sofern es denn je welche gegeben hat.
Das neue Jahr beginnt also, wie das alte geendet hat – mit den üblichen Südtiroler Ansprüchen, Befindlichkeiten und Wehwehchen. Das ermüdet schon jetzt. Das lässt nichts Gutes erwarten.
Beispiele gefällig? Bereits vor genau einem Jahr wurde in Südtirols Gesundheitswesen offensichtlich, dass die neue Patienten-Obergrenze angesichts der immer weniger werdenden ­Hausärzte mehr Probleme als Lösungen bringt. Es gab Proteste und viele Marathonsitzungen. Dann war es ruhig. Und jetzt ist das Thema wieder mit ­voller Wucht da – weil der nächste Schub an alten Hausärzten in Pension gegangen ist. Zwar gibt es eine Übergangsregelung des Landes (eine Abweichung von der Höchstgrenze von 1.575 Patienten pro Hausarzt für die nächsten sechs Monate) – so wirklich glücklich ist damit aber niemand. Zögern, aussitzen, wegducken ist selten eine gute Option.
Oder, anderes Beispiel. Die Ausschreibung für das Bahnhofsareal in Bozen ist bereits vor über einem Jahr in Angriff genommen worden. Nun plötzlich öffnet sich die Debatte erneut – und reicht bis zu Rücktrittsdrohungen des Bürgermeisters. Bozner Pasticcio wie eh und je.
Ach ja, und dann gibt es natürlich noch die Streiterei um das Landesgesetz, das die Gehälter der Landesregierung neu regeln soll. Mehr als ein Jahr schon arbeitete die zuständige Kommission an einem Gesetzentwurf, der für alle Parteien gut geht. Als es dann so weit war, versenkte die SVP das Gesetz im Landtag – aus Protest gegen die zickige Opposition. Jetzt flammt auch diese Diskussion wieder auf. Es gibt „klärende Gespräche“ und eine „Klärung der Sachlage“. Dann werde man weiter schauen.

Man blickt auf die Volksvertreter, reibt sich verwundert die Augen und denkt: Was, um ­Himmels willen, ist bloß los mit diesem Land? Geht es uns so gut, dass wir nichts anderes zu tun haben, als immer und immer wieder dieselben Probleme zu wälzen und uns gegenseitig immer wieder aufs Neue die heißen Kartoffeln zuwerfen? Ist es schlicht die Fortune, die den Verantwortlichen fehlt, damit den Worten auch der Sieg folgt? Oder ist es Unvermögen?
Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Dieser Ausspruch wurde durch Immanuel Kant zum Leitspruch der Aufklärung. Was das mit dem Südtiroler Dilemma zu tun hat? Sehr viel. Jeder sollte sich aus s­einer selbst verschuldeten Kommunikations- und Kompromissunmündigkeit befreien und seine Entscheidungen nicht nur von Opportunitäten oder taktischen Spielereien bestimmen lassen.
Der neue Quästor Giuseppe Racca meinte vor einigen Tagen, dass Südtirol keine Insel der Seligen mehr sei. In Bezug auf die „globale Gefahr“ namens Terror mag er recht haben. Die Welt ist klein geworden, der Terror mittlerweile überall alltäglich. Was allerdings den Rest betrifft, so dürfte er bald schon eines Besseren belehrt werden. 

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