Leitartikel

Der Pius, ich und andere Verbrecher

Aus ff 12 vom Donnerstag, den 23. März 2017

Leitartikel
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Darf man heute einer Politikerin eine Rose zum Geburtstag schenken? Oder riskiert man dabei zwei Jahre Haft

Ich gebe es ja zu. Ich bin ein Verbrecher. Vielleicht bin ich sogar ein Schwerverbrecher. Und was zu meinem elenden Verbrecherdasein noch erschwerend dazukommt: Ich bin ein Wiederholungstäter.
Mein letztes Verbrechen liegt erst kurz zurück. Ich war mit einem bekannten Südtiroler Politiker beim Mittagessen. Wir nahmen einen Fisch­teller. Dazu tranken wir einen Weißwein, und zwar einen guten. Ich erklärte dem Politiker, warum ich das Landesgesetz zur Medienförderung für Humbug halte. Der Politiker hörte aufmerksam zu. Und jetzt kommt’s. Dann zahlte ich die Fischteller und den Weißwein. Das war, wenn wir meine Verbrechen mal aufzählen, mindestens Bestechung eines Mandatsträgers, dazu unzulässige Vorteilsgewährung, ungebührende Geschenkübermittlung und rechtswidrige Parteienfinanzierung. Darauf steht Haft.
Bei meinem Gast waren die Verbrechen mindestens so zahlreich, etwa pflichtwidrige Bestechlichkeit, unerlaubte Vorteilsannahme, Amtsmissbrauch, Verstoß gegen das Dienstrecht und womöglich Betrug. Auch darauf steht Haft.
Es ist schon interessant, wie schnell ein Fischteller heute in der Kriminalität enden kann. Ich vermute, Staatsanwaltschaft und Rechnungshof ermitteln bereits in dieser Mittagessen-Sache. Sie nennen es wahrscheinlich „Operation Branzino“. Sie suchen noch Augenzeugen.
Ich werde den Ermittlern den Namen meines korrupten Fischteller-Gastes nicht nennen. Ich werde genau so wenig die Namen all der anderen Politiker und Behördenmitglieder nennen, mit denen ich als Wiederholungstäter schon bei solch kriminellen Mittagessen saß. Aber vielleicht hat uns jemand gesehen.
Und damit wären wir bei Pius Leitner. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er einem Fraktionskollegen ein Jux-Geschenk gemacht und ihm ein Sex-Spielzeug kaufen lassen, einen sogenannten Penisring. Kostenpunkt 17 Euro. Dafür bekam Leitner zwei Jahre Haft. Da bekommen wir für unseren Fischteller vermutlich sechs Jahre Haft.
Ich weiß nicht genau, wie ein Penisring funktioniert, ich weiß nur, warum es zu solchen Urteilen kommt. Das hat zwei Gründe. Die zwei Gründe sind zwei Sheriffs. Es sind die Sheriffs der Justiz und die Sheriffs der Medien.
Die italienische Justiz ist heute allzu oft nicht mehr eine Instanz der Gerechtigkeit, sondern eine Instanz der Rache. Es gibt für allzu viele Staatsanwälte nichts Erregenderes, als einen Politiker zur Strecke zu bringen. Manche Staatsanwälte agieren wie jene Schützen, die für jeden erlegten Gegner eine Kerbe in den Gewehrkolben schnitzen. Wenn du heute in Italien als hoher Justizbeamter Karriere machen willst, solltest du ein paar Politiker abgeschossen und in deine Trophäensammlung überführt haben. Dann giltst du als harter Hund. Dann wirst du befördert.

Der zweite Faktor sind wir von den Medien. Wir haben einen schönen Teil zu jener gesellschaftlichen Kultur beigesteuert, die hinter jedem Fischteller ein Verbrechen und einen Verstoß gegen die Amtspflichten vermutet. Wir haben einiges dazu beigetragen, dass die frühere Vertrauenskultur gegenüber Amtsträgern und Volksvertretern in eine Misstrauenskultur gekippt ist. Wir taten es nicht ohne eigenes Geschäftsi­nteresse. Die ­Medien wissen, besonders die dominierenden Medien, dass sich jene Stories sehr gut verkaufen, in denen man öffentlichen Figuren irgendwelche dunk­len Machenschaften nachsagen kann. Persönliche Bereicherung beginnt darum heute schon bei 17 Euro oder weniger.
Justiz und Medien sind so etwas wie die Rache­engel unserer Gesellschaft geworden. Unter dem Siegel der sogenannten Transparenz gewichten sie die Interessen der sogenannten Öffentlichkeit zehnfach höher als die Integrität einer Einzelperson. Penisring und Weißwein sind Vergehen gegen die Gesellschaft. Wir müssen uns inzwischen fragen, ob wir einer Politikerin eine Rose zum Geburtstag schenken dürfen. Oder ist das schon Bestechung?
Pius Leitner war einer der besseren und besonnenen Politiker in Südtirol. Er ist den vereinig­ten Sheriffs von Justiz und Medien in die Falle geraten. Leitner ist in gewissem Sinne ein Opfer des Systems. Es ist das System der gnadenlosen Moralität. 

Justiz und Medien sind so etwas wie die Racheengel unserer Gesellschaft geworden.

Leserkommentare

1 Kommentar
luis65
23. März 2017, 21:34

Habe ich nicht vor einiger Zeit mal gehört, dass die Justiz, sollte sie augenscheinliche Fehlurteile fällen, selbst ad personam zur Rechenschaft gezogen werden könnte?? (also nicht der Arbeitgeber "Staat" sondern der Richter/in) antworten

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