Leitartikel

Impfen ja, zwingen nein

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 25. Mai 2017

Leitartikel
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Impfen ist ein so sensibles Thema, dass es sich nicht per Gesetz anordnen lässt. Anstatt alle zum Impfen zu zwingen, sollte man mit Argumenten und Strategie überzeugen.

Kaum eine Debatte ist so vorhersehbar wie die über das Impfen. Obwohl, na ja – viel mehr als um eine Debatte handelt es sich dann wohl doch immer um eine endlose Wiederholung von bereits Gesagtem. Die Fronten sind klar gezogen, hier die Impfbefürworter, dort die Impfgegner, wer sich nicht eindeutig für das Pro oder das Contra entscheidet, wird überrannt. Das gegenseitige Zuhören fehlt, für Zwischentöne ist wenig Raum. Warum eigentlich?
Für viele Menschen ist Impfen eine Glaubensfrage, sie lassen sich mehr von Misstrauen und Ängsten leiten denn von sachlichen Argumenten. Das derzeitige Gesetzesvorhaben des italienischen Staates wird diese Glaubensfrage nun einmal mehr verschärfen.
Demnach soll mit kommendem Schuljahr die Impfpflicht für alle Kinder bis 16 eingeführt und die Anzahl der Pflichtimpfungen von derzeit 4 auf 12 erhöht werden, darunter für Krankheiten wie Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken.
Kinder, die nicht geimpft sind, werden von Kindergärten und Kitas ausgeschlossen, und Eltern, deren schulpflichtige Kinder ab sechs Jahren nicht geimpft sind, müssen saftige Bußgelder zahlen.
Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin spricht von einer „sehr starken Botschaft an die Bevölkerung“. Mit Verlaub, aber das ist in erster Linie eine unkluge Botschaft. Das Impfen ist so ein sensibles Thema, dass es sich nicht per Gesetz anordnen lässt. Das Recht auf Selbstbestimmung wiegt gerade in Gesundheitsfragen besonders schwer. Auch widerstrebt es dem Freiheitsempfinden vieler, sich auf Anordnung impfen zu lassen. Und wie bitte will man so eine Pflicht konsequent durchsetzen? Sollen Polizisten Kleinkinder notfalls gewaltsam zum Arzt oder Schulkinder mit Handschellen aus der Klasse schaffen? Wer Menschen zu etwas zwingen will, riskiert eine reflexhafte Opposition. Allein weil sich viele nicht bevormunden lassen wollen, könnten viele, die bisher nichts gegen Impfungen hatten, sich auf die Seite der Kritiker stellen. Und die ohnehin bereits stark radikalisierten Impfkritiker werden eine solche Zwangsimpfung nur als erneute Kampfansage empfinden.

Die Entscheidung für das aktuelle Gesetzesdekret wurde befördert durch eine seit Jahresanfang in Italien grassierende Masernepidemie. Im Mai wurden 2.400 Fälle registriert, im vergangenen Jahr waren es noch 860.
89 Prozent der Kranken hatten keine Impfung.
Viele Menschen unterschätzen die Masern heute leider als eine harmlose Kinderkrankheit. Auch in Südtirol. Es ist eine Tatsache, dass die Impfraten nicht nur bei den Pflichtimpfungen rapide sinken, sondern auch bei den bislang nicht verpflichtenden Impfungen wie eben Masern, Röteln oder Keuchhusten. Dabei sollte genau hier der „Herdenschutz“ greifen: Bei einer ausreichend hohen Durchimpfungsrate wird die Wahrscheinlichkeit bis zum Minimum reduziert, mit einem Erreger in Kontakt zu kommen.
Jeder Todesfall wegen Masern, Hepatitis B oder Mumps ist ein Todesfall zu viel. Deshalb aber braucht es keinen staatlich vorgeschriebenen Mega-Impfzwang. Wie wäre es stattdessen, wenn Ärzte, Behörden und Medien transparent, laut und sachlich über die Vorteile ebenso wie die Risiken und Nebenwirkungen von Impfungen aufklären würden?
Anstatt Eltern dazu zu zwingen, ihre Kinder zwölffach zu impfen, sollte man ihnen die Angst vor einer Impfung nehmen und sie mit guten Argumenten überzeugen – auch mit Druck, vor allem aber mit einer guten Impfstrategie. Eine „kleine Impfpflicht“ oder eine Priorisierung von Impfungen wäre zielführender. 

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