Leitartikel

Zerstörtes Paradies

Aus ff 46 vom Donnerstag, den 16. November 2017

Zitat
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Die sogenannten Paradise Papers führen einmal mehr vor Augen, wie uns Apple, Nike & Co. an der Nase herumführen. Warum nur lassen wir uns das bieten?

Der Trick ist so einfach, dass man darüber lachen müsste – wenn es nicht so traurig wäre. Der Sportartikelhersteller Nike schreibt seit Jahren Gewinne in Milliardenhöhe. Und zahlte dafür bis vor fünfzehn Jahren eine globale Steuerrate von rund 35 Prozent.
Das war Nike und seinen Investoren aber zu viel. Sie überlegten, wie sie die Steuerlast senken könnten. Und fanden die Lösung auf Bermuda. In dieser Steueroase mitten im Atlantik gründete Nike Offshore-Firmen, Briefkastenfirmen also, die in Wahrheit nur auf dem Papier existieren.
Diese Offshore-Firmen halten die Lizenzrechte der Firma. Zum Beispiel für das berühmte Firmenlogo von Nike, den sichelförmigen Swoosh. Nike musste nun an diese Offshore-Firmen Hunderte Millionen Euro bezahlen, um die Markenrechte nutzen zu dürfen. Nike zahlte an Nike. Und drückte damit die weltweiten Gewinne des Konzerns drastisch.
Warum? Weil mit den sinkenden Gewinnen auch die Steuerlast sinkt. Und zwar immens. Im Jahr 2014, das zeigen die von der Süddeutschen Zeitung und dem internationalen Konsortium investigativer Journalisten ausgewerteten Daten, konnte Nike seine globale Steuerrate auf etwa 13 Prozent drücken. Von 35 auf 13 Prozent. Mit dem trickreichen Umweg über Bermuda, wo Firmen nur minimal besteuert werden.
Das ist schön für Nike und Konsorten. Denn Nike zog es nicht als einzige in die Steueroasen. Ähnlicher Tricksereien bedienen sich auch Apple, Facebook, Amazon, Ikea und viele andere. Das Beste daran für diese Konzerne: Vermutlich ist das alles ganz legal.
Die Leidtragenden sind die Staaten und die Menschen, die darin leben. Ihnen entgehen jedes Jahr Steuereinnahmen in Milliardenhöhe, weil Konzerne, Schöne und Reiche das Geld in Steueroasen verstecken.
Nicht dass das jemand nicht wüsste. Seit Jahren wird die Austrocknung solcher Oasen gefordert. Vor allem wenn wieder irgendein Datenleck offenlegt, wer wo sein Geld bunkert. Nun führen die sogenannten Paradise Papers einmal mehr vor Augen, wie uns Apple, Nike & Co. an der Nase herumführen. Warum nur lassen wir uns das bieten?

Dass etwas legal ist, heißt noch lange nicht, dass es auch legitim und in Ordnung ist. Auch Sklaverei und Menschenhandel waren einst legal – heute unvorstellbar.
Während nun Angestellte und mittelständische Unternehmer ihre Steuer bis auf den letzten Cent zahlen, bedienen sich die Großen mieser Tricks, um diese Steuern zu umgehen. Und was tun wir? Wir schauen zu und regen uns nicht einmal darüber auf.
Mehr noch: Wir kaufen sogar die Produkte, die uns diese Konzerne vor die Nase halten, und zeigen stolz deren Logo her. Seht, ich kann mir sogar das neueste iPhone von Apple leisten, obwohl es unverschämt teuer ist. Und obwohl der Konzern mit dem Apfel mich gleich zweimal abzockt: Einmal beim Kauf und einmal bei der Besteuerung.
Denn das Geld, das dem Staat dadurch abhanden kommt, fehlt letztlich uns, den Menschen. Wir werden dann eben noch höher besteuert. Oder wir, in dem Fall der Staat, müssen uns weiter verschulden, um die öffentlichen Ausgaben bestreiten zu können.
Das Verrückte daran ist, dass die meisten von uns das ziemlich normal finden. Oder haben Sie schon einmal von wöchentlichen Protestumzügen gegen Steuerflüchtlinge gehört? Oder haben Sie schon einmal daran gedacht, die „steuer­optimierten“ Produkte von Nike, Apple, Amazon, Ikea & Co. nicht mehr zu kaufen?
Wohl eher nicht. Das zeugt von einer kranken Welt, auf der die Wut weiter wächst. Die Ungleichheit wird größer, die Reichen reicher und die Armen ärmer. Die Wütenden suchen sich bislang aber die falschen Schuldigen aus. Nicht die Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge gehören bekämpft, sondern die Steuerflüchtlinge.
Sie sind mit ein Grund dafür, dass es zu den Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen überhaupt erst kommt. 

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