Leitartikel

Rot oder rosé?

Aus ff 48 vom Donnerstag, den 30. November 2017

Zitat
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In unserem Wohlstandsland gibt es – wie diese ff-Ausgabe zeigt – große Ungleichheiten. Der sozial-linke Flügel der SVP jedoch hat trotzdem keine Konjunktur. Warum die Krise der Genossen nicht bloß eine vorübergehende Laune der Geschichte ist.

In Joseph Roths Roman „Der Radetzkymarsch“, der vom Untergang der Habsburger Monarchie mit all ihren Traditionen handelt, gibt es eine skurrile Szene: Der alte Bezirkshauptmann Trotta besucht seinen sterbenden Diener – und was macht dieser? Versucht unter dem Bettlaken treu die Hacken zusammenzuschlagen. Nach dem Motto: Haltung einnehmen, auch wenn es noch so schmerzt. Man müsste lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
So ähnlich muss es wohl heute sein, wenn an das Bett der erschöpften SVP-Arbeitnehmer ihre stolze Vergangenheit tritt.
Dieses Bild zumindest gräbt sich einem tief ins Hirn ein – einmal mehr am Montag dieser Woche. Da lud die Blaue Fraktion im Landtag zu einer Pressekonferenz mit einem zutiefst roten Thema: „Wo bleibt die versprochene Erhöhung der Mindestrenten?“, wollten die Freiheitlichen wissen. Und präsentierten zwei Beschlussanträge, die sie jüngst eingereicht hatten – einen zur Abschaffung beziehungsweise zur Reduzierung der regionalen Zusatzsteuer Irpef, und einen anderen zur Anhebung der Mindestrenten.
„Altersarmut bekämpfen!“, fordern Fraktionssprecherin Ulli Mair und ihre Mannen forsch. Die SVP-Arbeitnehmer, sagen sie, würden die Freiheitlichen bei diesen Themen im Landtag leider sehr oft im Stich lassen.
Der Gerechtigkeit wegen muss freilich auch gesagt werden, dass die SVP-Arbeitnehmer wenige Tage vorher eine ähnliche Pressemitteilung verschickten mit der Botschaft: „Irpef-Zuschlag abschaffen, um lohnabhängige Arbeit zu entlasten.“ Jedoch irgendwie verhallte sie im Nichts.
Vom Zack der einstigen Genossen unterm Edelweiß ist ein Zucken geblieben. Im sozialen Flügel der großen Partei hat es oft geblitzt und gekracht, Thesen wurden entwickelt und Programme geschrieben, wieder verworfen, zerrissen und wieder neu geformt. Aber das ist schon länger her. Mittlerweile leuchtet dieser Flügel der SVP nicht mehr rot, sondern allenfalls noch rosé.
Es stimmt schon, zu früheren Zeiten haben die SVP-Genossen gerne theoretisiert, und dabei die Theorie manches Mal auch mit der Wirklichkeit verwechselt. Aber sie hatten ein gemeinsames gesellschaftspolitisches Fundament an Überzeugungen. Heute fehlt dieses völlig. Es fehlt eine Art alltagstaugliche Utopie. Etwas mehr Leidenschaft und etwas weniger Griff in die ­Mottenkiste würde ihnen gut anstehen.
Mit all dem wären sie auch gut gerüstet für das anstehende Landtagswahlkampfjahr. Wenn sich alle anderen Parteien einmal wieder einen sozialen Anstrich verpassen. Wenn Politiker jeglicher Couleur ständig vom „kleinen Mann“ reden, auf den zu wenig geachtet werde.
Die SVP-Arbeitnehmer sind gewissermaßen im Zangengriff. Parteien wie die Freiheitlichen oder wie eine Fünfsternebewegung gewinnen Wähler für sich, für die eigentlich einmal die Linken zuständig waren: Menschen, die den Abstieg fürchten oder ihn gar erleben; Ältere, die am Existenzminimum leben; Mittelständler, die sich über die soziale Ungleichheit empören. Die Genossen sind in ihren alten Selbstgewissheiten erschüttert, haben aber noch keine neuen gewonnen.

Eigentlich müsste ja die politische Linke insgesamt Konjunktur haben, angesichts der allgemeinen Sorge der Menschen vor dem Abstieg. Auch der Erfolg eines Buches wie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des Wirtschaftsprofessors Thomas Piketty würde das untermauern. Aber die Genossen sind gefangen. Das ist in Südtirol nicht anders als nahezu überall in Europa. Sie sind Gefangene ihrer Traditionen, ihrer Verantwortung als Teil von Regierungen, ihrer Rezepte längst vergangener Tage. Eines davon wäre allerdings gar nicht so schlecht – die Hymne der Kommunisten, „Die Internationale“: „Es rettet uns kein höheres Wesen/kein Gott, kein Kaiser und Tribun/Uns aus dem Elend zu erlösen/können nur wir selber tun!“ 

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