Leitartikel

Wenn Politik zerbröselt

Aus ff 19 vom Donnerstag, den 10. Mai 2018

Zitat
© FF-Media
 

Offenheit demonstrieren, Mitglieder miteinbeziehen, alles schön und gut. Aber wo bitte ist die inhaltliche Identität der SVP?

Die SVP ist eine erstaunliche Partei. Mindestens so groß wie ihre Fähigkeit, sich selbst zu verschleißen, ist ihre Begabung, an den Neuanfang und die eigene Wiedererstarkung zu glauben. So war es zum Beispiel nach dem Sel-Skandal. So war es nach der Landtagswahl 2013, als sie erstmals in ihrer Geschichte die absolute Mehrheit verlor. Und so war es auch nach dem Politrenten-Skandal 2014.
Jeder Parteitag wird dann aufs Neue als Aufbruch gefeiert, man schwört sich ein auf die legendäre Geschlossenheit. Doch das Einzige, was tatsächlich immer wieder aufbricht, ist parteiinternes Gezänk. Kritische Geister aus den eigenen Reihen werden zwar geduldet, sonderlich beliebt sind sie aber nicht. Dadurch versperrt sich die Partei den nötigen selbstkritischen Blick für Verbesserungen des eigenen politischen Spiels.
Die Parteiführung selbst sieht das natürlich ganz anders. Sie mag es nicht, wenn man so etwas von ihr behauptet. Man sei „eine offene Volkspartei“, lautet das Diktum, das der Parteiobmann mantrahaft beschwört. Derzeit ganz besonders. Es geht darum, „die besten und fähigsten Kandidaten“ für die SVP-Liste zu gewinnen. Deshalb dürfen jetzt alle Mitglieder bis 15. Mai Kandidaten vorschlagen und, man höre und staune, „konkrete Programmvorschläge“ machen.
Der junge Obmann, der in dieser Funktion seine erste Landtagswahl zu bestreiten hat, versucht, alles richtig zu machen, politisch, moralisch und überhaupt. Er will für die Partei die absolute Mehrheit, also das 18. Mandat, zurückholen. Was auch sonst. Deshalb lautet der Slogan der Mitgliederbefragung wohl auch: „Aus Verantwortung für Südtirol: mitbestimmen!“ Die Partei setzt damit auf das Individuum, sie suggeriert: Natürlich geht es um das Land, aber in erster Linie auch mal um dich.
Das ist per se nichts Schlechtes, weist aber Lücken auf. Wie wäre es zum Beispiel damit, wenn die Partei zur Abwechslung mal ihre Unschärfe bei Sachfragen überwinden würde? Flüchtlinge, Sicherheitspolitik, Tourismusentwicklung, Gesundheitsversorgung, Bildungspolitik und und und. Oder: Wie wichtig sind der ­Regierungspartei Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit in der Zukunft? Wie meistern wir die Risiken neuer Technologien? Die Bürger wollen jetzt wissen, woran sie nach dem 21. Oktober sind.

Dass jemand Politik macht, weil er die Dinge zum Besseren wenden möchte, glaubt nur noch ein Bruchteil der Wähler. Nicht das Ansehen der Politik per se, sondern jenes vieler Politiker, egal, welcher Couleur, hat einen Tiefpunkt erreicht. Man hat sich daran gewöhnt, dass diese oft etwas anderes sagen, als sie dann tun. Wenn sie sich einmal wieder diplomatisch winden und nicht klar Stellung beziehen, anstatt einfach mal anzu­ecken, dann wendet man sich genervt ab.
Offenheit demonstrieren, Mitglieder miteinbeziehen, alles schön und gut. Aber wo bitte ist der eigene Kern der Überzeugungen? Wo die eigene inhaltliche Identität? Starke Flügel gibt es bei der SVP keine mehr, sondern eine leise innere Auflösung. Das wird alles geschickt zugedeckt – pragmatische Partei- und Fraktionsdisziplin geht vor konfliktträchtiger Sinnsuche. Anstatt von den Mitgliedern inhaltliche Orientierung einzufordern, sollte die Partei doch eigentlich diesen Orientierung geben, oder etwa nicht?
Die SVP-Oberen werden jetzt aufschreien: Natürlich zeige man Kante, und selbstverständlich habe man eigene Werte und Überzeugungen. Aber wenn sie ehrlich mit sich selbst ist, kommt sie zu einem anderen Schluss.
Ehrlich mit sich selbst zu sein, dazu braucht es eine ordentliche Portion Mut. Den Mut zum intellektuellen und parteiinternen Streit. Den Mut, für Überzeugungen einzutreten, auch gegen Konventionen. Wenn der harte Kern der SVP sich selbst antreibt, könnten am Ende alle etwas davon haben. So oder so. 

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