Leitartikel

Das Volk ist der Souverän

Aus ff 21 vom Donnerstag, den 24. Mai 2018

Zitat
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Lega und Fünf Sterne haben sich auf einen Vertrag über eine neue Regierung geeinigt. Und schon gibt es Zurufe von den europäischen Partnern. Doch je mehr Brüssel es besser weiß, umso stärker werden die Populisten.

In Italien wiederholt sich, was schon in Griechenland passiert ist. Italien hat eine Regierung, die denen in Brüssel nicht passt. Das Volk hat wieder einmal falsch gewählt, es hat nicht auf die Warnungen aus der EU-Zentrale gehört. Dummes Volk, dummes. Das Dumme ist nur: Je mehr Brüssel mahnt, droht und drängt, desto schwerhöriger wird das dumme Volk.
In Brüssel gibt man sich besorgt über eine italienische Regierung, die Geld für die Bürger ausgeben, das Land nicht kaputt sparen will. Die Sorge in Brüssel ist in Wirklichkeit eine Drohung: Wir werden euch an die Kandare nehmen.
Die Drohung kommt gerade von Parteien wie der CSU, die inhaltlich nicht weit von der Lega entfernt sind. Wenn es um Abschiebungen von Asylbewerbern geht oder die Fürsorge für Einheimische, ist die bayerische CSU eine Schwesterpartei der Lega.
Das Regierungsprogramm von Grün-Gelb, von Lega und Fünf Sterne, liest sich freilich wie ein Wunschkonzert, es ist ein seltsamer Mix aus den jeweiligen Wahlprogrammen. Ich das Grundeinkommen, du die Abschiebungen von Asylwerbern, ich die „Flat tax“, den einheitlichen Steuersatz für alle (aus dem im „Regierungsvertrag“ zwei Steuersätze geworden sind), du die Abkehr von Großprojekten, ich die verbilligten Windeln, du die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. Einmal Ausdruck eines ungehemmten Wirtschaftsliberalismus, einmal Ausdruck eines ungebremsten Staatskapitalismus. Und das alles auf Pump.
Vieles an diesem Gericht ist unappetitlich und beunruhigend: das „Einheimische zuerst“, die Drohjustiz, die Anbiederung an einen autoritären Herrscher wie Putin, der Rückzug auf die Nation, die digitale Demokratie, bei der 42.000 Anhänger der Fünf Sterne für das ganze Land bestimmen, der Fürsorgestaat, der den Einzelnen seiner Verantwortung enthebt, der Ministerpräsident, der nur der lange Arm der Parteichefs Matteo Salvini und Luigi Di Maio ist. Diese Regierung ist ein Bruch, sie ist weder links noch liberal (die Liberalen sind verschwunden, die Linken drohen zu verschwinden), ihr Populismus überbrückt die Gegensätze zwischen den Parteien.

Doch Europa sollte sich hüten, über die neuen Verhältnisse in Italien zu lachen – Lega und Fünf Sterne sind gekommen, um zu bleiben, Sanktionen zu ergreifen, das ganze Waffenarsenal auf die neue Regierung zu richten, wenn es um Einhaltung von Schuldenzielen und Defizitgrenzen geht. Die Politik der harten Hand unterminiert die europäische Solidarität.
Die Italiener werden es der EU nicht danken, den Vertretern der „schwarzen Null“ im Haushalt, den Befürwortern einer rigiden Sparpolitik, die glauben, dass es einem Land umso besser geht, wenn es den Menschen schlecht geht, Löhne sinken, das Pensionsalter angehoben wird, Sozialleistungen gekappt, Dienstleistungen privatisiert, Staatseigentum verscherbelt wird.
Deutschland etwa hat sich in den vergangenen Jahren auf Kosten seiner Partner bereichert, es hat von der Rettung der Banken profitiert, es exportiert ohne Rücksicht. Wenn es Deutschland gut geht, muss es jemand anderem schlecht gehen, wenn seine Außenhandelsbilanz positiv ist, muss die von jemandem anderen negativ sein.
Am Dienstag (bei Redaktionsschluss der ff) hatte Staatspräsident Mattarella noch niemandem den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt, der Jurist Giuseppe Conte, der Kandidat, auf den sich Lega und Fünf Sterne geeinigt hatten, war schon wieder ins Gerede geraten. Doch selbst wenn die Koalition noch einmal stolpern sollte: Die EU täte gut daran, nicht mit dem Finger auf seine Partner zu zeigen, besserwisserisch ein Regierungsprogramm zu demontieren, von dem noch kein Beistrich umgesetzt ist. Italien hat eine Regierung, die demokratisch legitimiert ist, mit weit über 50 Prozent der Wählerstimmen. Das gilt es zu respektieren, auch wenn man nicht mit dieser Regierung und ihrem Programm einverstanden ist. Der Wähler ist der Souverän, nur er kann das nächste Mal anders entscheiden.

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