Leitartikel

Der andere Bildungsauftrag

Aus ff 11 vom Donnerstag, den 14. März 2019

Zitat
© FF-Media
 

Der Schülerstreik für den Klimaschutz erinnert die Politik an ihre Hausaufgaben – und mahnt uns Erwachsene zu einem bewussteren Konsumverhalten. Das irritiert. Offenbar auch ­etliche Lehrer, die das eintägige Fernbleiben von der Schule nicht entschuldigen wollen.

Am Freitag dieser Woche ist es wieder so weit: Wie bereits am 15. Februar werden Schüler auch hierzulande abermals für den Klimaschutz streiken. So wie in 89 Ländern und über 1.000 Orten weltweit.
Und es ist abzusehen, dass Bedenkenträger und Oberlehrer sich wieder in gönnerhaften Warnrufen oder in tadelnden Gegenreden üben und dazu anregen, die Demonstration doch auf den Samstagnachmittag zu verlegen, um nicht von der Schule fern bleiben zu müssen. Siehe unsere jüngste Landtagsabgeordnete, Jasmin Ladurner. O-Ton: „Einen Tag Schule schwänzen, rettet nicht unser Klima.“
Nun, einen Tag Schule schwänzen, rettet nicht unser Klima, gewiss. Doch schon die erste Schülerdemonstration vor einem Monat hat gezeigt, dass da von den Tausenden demonstrierenden Schülern etwas in Gang gesetzt wurde: Politiker, die an ihre Hausaufgaben erinnert wurden und die sich immerhin auf dem Platz vor dem Landtag spontan auf Gespräche eingelassen haben (die medienaffinen unter ihnen haben zum Zwecke der Selbstdarstellung im Anschluss den fotogenen „Austausch“ gesucht).
Medien haben groß von den Anliegen der Streikenden berichtet; und wir, die erwachsenen Zaungäste, hatten und haben uns mit Slogans auseinanderzusetzen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut!“
Das irritiert. Weil es an unserer Bequemlichkeit nagt und unser Konsumverhalten hinterfragt. Weil wir es nicht (mehr) gewohnt sind, von einer zu Recht protestierenden Jugend den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Die Süddeutsche Zeitung hat vor einigen Tagen ausgerechnet, dass der Urlaubsflug einer fünfköpfigen Familie nach Thailand und zurück 16 Tonnen Kohlendioxid produziert. Das, so sagen Forscher, koste der Arktis 50 Quadratmeter Eis, auf ­Dauer. Mag sein, dass dieses Rechenbeispiel nur wenige anspricht, weil ein solcher Trip gar nicht in ihrer finanzieller Reichweite liegt.
Dennoch: Das Beispiel verweist darauf, dass selbst unser Urlaub Folgen hat, dass unser Lebensstil in der Wohlstandsgesellschaft einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Ließe sich auf den familiären Zweitwagen nicht doch verzichten? Muss es eine Avocado sein, wenn zweieinhalb Stück davon rund 1.000 Liter Wasser verbrauchen, ehe sie auf unserem Teller landen?

Es ist etwas in Bewegung gekommen, seit die 16-jährige Greta Thunberg im vergangenen August vor dem Reichstag im schwedischen Stockholm freitags die Schule schwänzt, um für den Klimaschutz zu demonstrieren. Es ist etwas in Bewegung gekommen, seit auch hierzulande Schüler für ihre und des Planeten Zukunft streiken und für ein gemeinsames Nachdenken sorgen – auch unter ihresgleichen.
Umso erstaunlicher mutet es an, dass gar nicht so wenige Lehrer das jüngste Fernbleiben der Schüler vom Unterricht nicht goutiert haben und es bis dato nicht entschuldigten.
Ich bin wahrscheinlich unverbesserlich, weil ich immer noch einen Traum habe. Den Traum, dass die Schule mithilft, dass Kinder und Jugendliche Selbstvertrauen entwickeln können, dass sie Möglichkeiten schafft, Selbstwirksamkeit zu erfahren, dass sie ihre Persönlichkeit stärkt – die wertvollste aller pädagogischen Aufgaben.
Nein, der Bildungsauftrag der Schule erschöpft sich schon lange nicht mehr darin, dass Schüler sich Wissen aneignen, Formeln auswendig lernen.
Das Geschwurbel über den „Erwerb von Kompetenzen“ bleibt Makulatur, solange Schüler sanktioniert werden, die nebenbei gerade lernen, wie Demokratie geht. 

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