Der auferlegten Einsiedelei kann ich einiges abgewinnen. Vor allem dann, wenn mein Blick so zielgerichtet wird wie Zorros Degenspitze.
Leitartikel
Wie soll das enden?
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Es wird verboten, kontrolliert, manche Bürger denunzieren jedes abweichende Verhalten ihrer Mitbürger. Lässt uns die Angst vor dem Virus überschnappen?
Es ist Frühling, draußen scheint die Sonne, die Krokusse blühen, doch wir sitzen drinnen, schauen TV-Serien, räumen zum x-ten Mal die Wohnung auf, stöbern in Büchern. Seit rund vier Wochen geht das nun so.
Wir können uns nicht mehr mit Freunden auf einen Kaffee treffen, sehen am Wochenende unsere Liebsten nicht, wir dürfen nicht mehr ins Kino, nicht ins Theater, nicht ins Konzert und nicht auf den Berg. Wir arbeiten und lernen am Küchentisch. Unseren Wohnort können wir nicht verlassen. Wir wissen nicht, was in ein paar Wochen sein wird. Wir müssen auf alles verzichten, was Gemeinschaft ausmacht. Das ist hart.
Und trotzdem: Wir akzeptieren das. Bisher.
Wie lange aber soll das noch dauern?
Das ist eine berechtigte und eine immer dringlichere Frage. Es geht nicht nur um die Einschränkungen in unserem Alltagsleben. Je länger die Ausgangssperren dauern, desto größer der Schaden für die Wirtschaft, desto mehr Arbeitsplätze gehen verloren, desto mehr Existenzen sind bedroht.
Wie lange also noch?
Politiker nennen Daten. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigte an, die Ausgangssperre bis zum 13. April zu verlängern. Dann werde man „Phase 2“ einleiten, das heißt, einige Maßnahmen werden aufgelockert. Freitagabend dann sagte Zivilschutz-Chef Angelo Borrelli, dass „wir wohl auch noch den 1. Mai daheim verbringen werden“. Phase 2 könnte Mitte Mai beginnen. Am selben Tag sagte Landeshauptmann Arno Kompatscher bei seiner virtuellen Pressekonferenz: „Sollten wir eine dauerhafte Entspannung in der Krise feststellen, dann könnte in einigen Wochen beispielsweise das Arbeiten wieder erlaubt sein.“
Es ist offensichtlich, dass auch Politiker nicht sicher sind, wann wir wieder aus dieser Lage herauskommen. Das macht es für die Bürger noch schwerer, geduldig zu sein. Wir sehen jetzt schon die sozialen Folgen der Beschränkungen. Angst, Einsamkeit und Wut fressen sich in unsere Gesellschaften ein. Häusliche Gewalt, Depressionen, Alkoholkonsum nehmen zu.
Wie lange also noch?
Während wir uns das fragen, zieht die Regierung die Daumenschrauben noch enger. Es ist verblüffend, wie schnell und weitgehend diskussionslos sie in so einer Krise die Grundrechte aushebeln kann. Es wird verboten, kontrolliert, aus dem Vermummungsverbot ist ein Vermummungsgebot geworden. Manche Bürger denunzieren jedes abweichende Verhalten ihrer Mitbürger bei den Behörden. Ja, die Ausgangssperre kann auch niedere Instinkte wecken, und je länger sie anhält, desto mehr wird aus einer solidarischen Gesellschaft eine, die ins Gegenteil kippt.
Ein Hauch von Diktatur liegt in der Luft.
Wie lange noch? Und: Wie soll das enden?
Sicher. All dem stehen, wenn man so will, neue Erkenntnisse gegenüber: Man bemerkt, wie sehr man manchen Menschen liebt, nach welchen Unternehmungen man sich sehnt, dass man Freunde schmerzlich vermisst. Aber das wird auf Dauer nicht genügen. Irgendwann reicht es: Die Frage „Wie lange noch?“ wird dann nicht mehr gestellt werden. Es wird dann fordernd heißen: „Das muss jetzt endlich aufhören!“
Wir werden diesen Satz in den nächsten Tagen und Wochen immer häufiger hören.
Deswegen sind Politiker gut beraten, immer wieder zu erklären, warum wir was machen müssen. Dann wird es den Bürgern leichter fallen, die Nerven zu behalten. Das nämlich ist notwendig. Diese Pandemie ist für unsere Gesellschaft die größte Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir begegnen ihr, indem wir unsere täglichen Gewohnheiten wie Händeschütteln oder Umarmungen strikt durch andere Verhaltensregeln ersetzen: 1,5 Meter Abstand halten, Mundschutz tragen, das Haus oder die Wohnung nur verlassen, wenn es wirklich sein muss.
Das klingt einfach. Doch greift es tief ein in unser soziales Verhalten. Wie wir uns begegnen, wie wir uns verbinden, wie wir zueinander finden, das müssen wir alles neu denken. Dafür braucht es Mut und Zuversicht. Aber: Alles mit uns machen lassen, müssen wir deshalb nicht.
Wir müssen genau hinsehen, was die Regierungen machen. Wir müssen darüber wachen, dass diese alles wieder zurückgeben, was sie uns jetzt an Rechten nehmen. Darüber muss eine demokratische Gesellschaft reden. Und zwar jetzt.
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