Leitartikel

Wir schauen auf uns

Aus ff 19 vom Donnerstag, den 07. Mai 2020

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Das Virus hat uns gezwungen, endlich einmal aus dem Klein-Klein unseres Alltags herauszutreten. Und dann kommt die SVP und zettelt einen Streit mit Rom an.

Wir sind in Phase 2 der Coronakrise eingetreten. Von jetzt an wird es schwieriger, komplizierter, politisch mühsamer: Es geht um den Weg in die Zukunft. Bevor wir jetzt über die Details der Lockerungen sprechen und streiten, sollten wir aber noch einmal kurz innehalten. Wir sollten darüber nachdenken, was hinter uns liegt. Es sind die härtesten Einschränkungen unseres Alltagslebens seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben schwere Wochen hinter uns. Wir haben sie einigermaßen gut überstanden, mit etwas Murren, gewiss, aber auch mit viel Geduld und Tapferkeit.

Das Virus hat uns klargemacht, dass von einem Tag auf den anderen alles, wirklich alles anders sein kann. Es hat nicht nur unseren Alltag, sondern auch unser Denken durcheinandergewirbelt. Wir haben uns zum Beispiel die Frage gestellt, ob wir weiter so leben und konsumieren wollen wie bisher. Das Virus hat uns gezwungen, über uns, unsere Rolle in der Welt nachzudenken. Bei allem Leid und bei allen Entbehrungen, war dies auch eine Art von Geschenk. Wir mussten pausieren, durchatmen, überlegen.

Endlich einmal sind wir herausgetreten aus dem Klein-Klein unseres Alltags. Endlich haben wir kollektiv in größeren Zusammenhängen gedacht. Wir konnten uns gewissermaßen neu kennenlernen. Das war eine etwas mühsame, vielleicht auch ein bisschen unheimliche, aber doch sehr intensive Erfahrung.

Und jetzt kommt die SVP und radiert diese Erfahrungen wieder aus. Wie das?

Sie zettelt Streit mit Rom an. Südtiroler Volkspartei und Landesregierung haben beschlossen, einen „Südtiroler Sonderweg“ zu gehen. Da kann man nur staunen. Wochenlang hatten Mandatare und Funktionäre der SVP geschwiegen, hatten sich in eine selbst verordnete politische Quarantäne zurückgezogen. Dann plötzlich, quasi über Nacht, verkündete die SVP kämpferisch: „Das machen wir jetzt auch ohne Rom!“

Nun gut, das kann man verstehen. Die Wirtschaft drängte auf Öffnung, die rechten Parteien taten es mit Blick auf Österreich, und das Tagblatt der Südtiroler ebenfalls. Ein explosives Gemisch. Aus diesem Kessel musste Dampf abgelassen werden. Wenn man allerdings diesen mit viel Getöse inszenierten Akt des „politischen Ungehorsams“ genauer betrachtet, sieht man, worum es geht: um eine Kleinigkeit. Die Regierung in Rom sagt, dass bis 18. Mai den Regionen keine eigenen Lockerungen erlaubt sind. Das Landesgesetz sieht erste Öffnungen ab 11. Mai vor. Der Landeshauptmann verweist jetzt gerne darauf, dass es sich nicht um eine Woche mehr oder weniger handle, sondern um die Zukunft der Autonomie gehe. Zumal die römische Regierung die nächsten Monate wohl weiter mittels Dekreten regieren werde.

Politik ist auch immer Inszenierung. Selbst in einer Krise. Parteiobmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher wissen das. Geschenkt. Das Stück, das sie jetzt abgeben, lautet: Die SVP weiß sich zu behaupten! Das mag eine parteipolitisch kluge Strategie sein. Aber es ist angesichts der noch nicht überstandenen Herausforderung sehr kleinkariert.

„Wir lassen uns in keiner Weise von unserem Südtiroler Weg abbringen“, sagt der Parteiobmann. „Für uns ist nicht akzeptabel, dass unsere Autonomie weiter eingeschränkt wird“, sagt der Landeshauptmann. Was sie vergessen: Der Feind ist nicht Rom, sondern das Virus. Das Problem ist nicht Premierminister Giuseppe Conte, sondern der richtige Umgang mit Corona. Ja, wir haben alle genug von Corona. Aber hat Corona deshalb auch genug von uns?

Diese Krise ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, und die SVP pflegt nun ihren Anti-Rom-Habitus. Das mag einigen gefallen, auf der Höhe der Zeit ist es nicht.

Die beiden, Kompatscher und Achammer, müssen ja nicht Philosophen sein, das verlangt keiner von ihnen, aber den einen oder anderen nachdenklichen Satz hätte man sich angesichts dieser existenziellen gesellschaftlichen Krise aus ihrem Munde schon gewünscht.

Aber nein, kaum schwächt sich die Krise ab – geht es wieder gegen Windmühlen, gegen Rom. Wir dachten und sorgten uns gerade noch, mein Gott, wie wollen wir in Zukunft leben?!

Und die SVP antwortet: So wie immer, wir schauen auf uns, vor allem auf uns.

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