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Leitartikel
Jetzt an der Stimmung schrauben
Aus ff 21 vom Donnerstag, den 21. Mai 2020
Neuseeland macht es vor. Wir können dieser Krise und den damit verbundenen Auflagen auch anders begegnen. Ein Plädoyer für weniger Griesgram.
Das Video ging um die Welt. In Anzug und Krawatte stürzt sich der Bürgermeister der neuseeländischen Stadt Queenstown in die Tiefe. Er wagte den Bungeesprung und zelebrierte damit die neue Freiheit. Nach sieben Wochen Lockdown wurde vergangene Woche eine der weltweit strengsten Ausgangssperren gelockert. Jetzt wird die Wirtschaft wieder hochgefahren. Unter dem Applaus der Neuseeländer. Überall sind glückliche Menschen zu sehen – ob beim Surfen, beim Strandspaziergang oder in der Bar. In Interviews sprechen die Bürger, wie glücklich und erleichtert sie sind, das Virus besiegt zu haben.
Und bei uns? In der Nacht auf Samstag beschließt der italienische Ministerrat: Italien wird am 3. Juni seine Außengrenzen öffnen, und Italiener dürfen wieder quer durchs ganze Land reisen. Haben Sie jemand jubeln hören? Applaudieren sehen? Ich nicht. Stattdessen Aussagen wie: Das wurde auch langsam Zeit!
Verglichen mit der Freude der Neuseeländer hätten wir in Südtirol längst Grund zum Jubeln. Seit über drei Wochen dürfen wir im Freien joggen, seit mehr als zwei Wochen Verwandte besuchen, seit zehn Tagen gibt’s Kaffee in der Bar, Schneiden, Färben, Föhnen beim Friseur. Und jetzt sollen auch die Grenzen geöffnet werden.
Damit dürfen Südtirols Touristiker nach Wochen der Resignation wieder von Gästen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz träumen. Vorausgesetzt natürlich, dass diese Länder ihre Bürger nach Bella Italia ausreisen lassen. Denn niedrige Infektionszahlen werden im touristischen Überleben gerade als Trumpfkarte ausgespielt. Und hier hat Österreich im Vergleich zu Italien die Nase vorn. Unser Nachbar wird sich also hüten, die Grenzen zu Italien, dem Sehnsuchtsland der Deutschen, zu öffnen. Südtirols Politiker müssen jetzt beweisen, wie gut sie die hoch gelobte Vermittlerrolle zwischen Nord und Süd tatsächlich beherrschen.
Zwei Wochen sind es noch bis zur Grenzöffnung. Zwei Wochen, um die Stimmung anzuheben. Denn ob unter den Bozner Lauben oder in den Cafés in Brixen – südtirolweit ist die Stimmung angespannt. Je größer die Gemeinde, umso größer die Panik. Gastronomen waren über Tage verunsichert. Fragten sich, welches Gesetz nun gilt: das italienische oder das mühsam ausgearbeitete Landesgesetz? Darf es ein Meter oder müssen es zwei Meter Abstand sein? Dürfen Mitarbeiter eine Baumwollmaske tragen, oder muss es die teure FFP2-Maske sein? Und braucht es all die Plexiglas-Abtrennungen, in die einige Restaurants einige tausend Euro investiert haben? Fragen, die für Chaos sorgten. Beim Wirt genauso wie beim Gast.
Die Zeiten sind kritisch – ohne Frage. Um neun Prozent soll das italienische Bruttoinlandsprodukt 2020 sinken. Tausende Südtiroler könnten, kaum wird der Kündigungsschutz aufgehoben, ihren Job verlieren. Dabei hat das Virus nicht nur unsere Wirtschaft lahmgelegt. Es hat uns – so scheint es zumindest unter den Masken – unser Lachen, unsere Unbeschwertheit genommen. Die Wochen im Lockdown haben uns verändert. Wir trauen uns in der Öffentlichkeit nicht mehr „wir“ zu sein. So wie wir waren, wir Südtiroler, mit unserem offenen, heiteren Gemüt.
Wirft man einen Blick in die sozialen Netzwerke, so scheint es, als wären wir ein Volk wütender Menschen. Politiker, Virologen und Medien werden beschimpft, geschmäht, mit Wortgewalt attackiert. Als seien sie die Lobbyisten des Virus. Außer Zweifel: Kritik und Diskussion – ob im realen Leben oder in den sozialen Netzwerken – sind gut, wichtig und essenziell. Die freie Meinungsäußerung ist die Basis unserer Demokratie. Schätzen wir diese Freiheit, aber bitte mit Niveau und weniger Griesgram.
Denn wir haben nur zwei Möglichkeiten, um mit Covid-19 zu leben: Die Maßnahmen zum Schutz unserer eigenen Gesundheit akzeptieren oder darüber weiterhin auf hohem Niveau jammern. Mein Vorschlag: Machen wir doch das Beste aus dieser Situation. Und holen wir uns dennoch Schritt für Schritt das zurück, was uns Südtiroler ausmacht: unsere Lebensfreude.
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