Leitartikel

Werkstatt Demokratie

Aus ff 25 vom Donnerstag, den 18. Juni 2020

Zitat 25-20
Zitat 25-20 © ff Media
 

Um Ideen für einen Neustart zu entwickeln, muss man alte Gewohnheiten ablegen. Und die Lösungen gemeinsam und nicht gegeneinander finden.

Die Villa Doria Pamphilj im Westen von Rom gilt vielen als schönste und größte Parkanlage der Stadt. Die Römer nutzen sie zum Joggen, Fahrradfahren und um kleine Feste zu feiern. Zur Villa gehört das barocke und prunkvolle Landhaus Casino del bel respiro – seit dem Jahr 1957 gehört es dem italienischen Staat.

Bel respiro. Schöner Atem. Welch besseren Ort als diesen gäbe es für einen Neustart nach einer Krise, ausgelöst von einem Virus, das große Atembeschwerden auslöst? Auf Einladung von Giuseppe Conte findet dort dieser Tage eine Zukunftskonferenz statt. Der Premier will damit Italiens Neubeginn planen: „Wir haben diesen Ort gewählt, weil er ein Symbol der Schönheit Italiens ist. Und wir wollen künftig in die Schönheit investieren.“

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben. Der 55-Jährige verspricht seinen Landsleuten nichts weniger als eine „ökologische Wende“ und ein modernes Land. Italien soll „stärker, widerstandsfähiger und gerechter“ gemacht werden. Das alles klingt hoffnungsvoll. In der Theorie. Aber in der Praxis zweifelt man angesichts der Erfahrungen, ob hinter den Absichtserklärungen auch ausreichend politischer Wille und vor allem Mut stehen, um das schwierige Vorhaben umzusetzen.

Die Opposition findet das Ganze weniger schön: Der angemessene Platz für eine solche Debatte sei das Parlament. Auch innerhalb der Regierungskoalition wird gemurrt – es brauche jetzt gute Regierungsarbeit und weniger politische Profilierung, mehr konkrete Hilfen für die Bürger und weniger informelle Gespräche.

All das mag richtig sein. Zu Recht kann kritisiert werden: Der Weg zu einer Einigung ist noch lang. Die Divergenzen unter den EU-Mitgliedsstaaten immer noch beträchtlich. Und für einen Neustart braucht es nicht nur die 173 Milliarden EU-Hilfsgelder, sondern vor allem eine vereinte EU.

Ankündigungen allein reichen also nicht, dahinter müssen starke Interessen stehen, aus denen Taten werden. Und ja, vielleicht ist all das nur eine große PR-Show von Conte, vielleicht kommt nichts Gutes dabei heraus. Aber von außen sieht es so aus, als könne sich etwas Grundlegendes in diesem Land ändern, als könne aus der Krise eine neue Gemeinsamkeit entstehen, eine andere Politik.

Für Südtirol wünschte man sich so etwas auch dringend. Dass die politische Debatte und Dialog-kultur kräftig durchgewirbelt würde. Durch ein gemeinsames Nachdenken. Durch ein Miteinbeziehen vieler kluger Köpfe aus allen Gesellschaftsgruppen. Durch konstruktive und gute Gespräche – und das Eingeständnis, dass man auf manche Fragen noch keine Antworten hat.

Die Abgeordneten des Hohen Hauses sollten sich jetzt zusammenreißen. Auf Debatten wie jene um den Beschlussantrag von Team K zur Sommerbetreuung von Kindern und Jugendlichen vergangene Woche im Plenum kann man verzichten. Opposition wie Mehrheit verhedderten sich im politischen Kleinklein, im Vordergrund standen persönliche Profilierung und parteipolitisches Kalkül. Es ist für niemanden eine leichte Zeit. Gerade deshalb aber heißt es: Nerven behalten.

Leider werden die Stimmen, die noch vor wenigen Wochen erklärten, dass nun alles ganz anders werden müsse, schon wieder leiser. Die Rückkehr zum Alltag aber wird es so bald nicht geben. Dafür hat das Coronavirus zu viele Risse in allen Lebensbereichen hinterlassen. Jetzt hätten wir die einmalige Chance, unseren bisherigen Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen und gemeinsam festzulegen, welche Form des Wirtschaftens, des Arbeitens, des Miteinanders, ja, auch der Politik wir wollen. Worauf warten wir? Auf die zweite Welle? Wovor haben wir Angst?

Das Debatten-Forum von Conte wird als Versammlung der „Stati Generali“ bezeichnet, der „Generalstände“. Mit dabei sind Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, dazu die „brillantesten Köpfe“ aus dem In- und Ausland. Historisch betrachtet, wurden die Generalstände – Klerus, Adel, Dritter Stand – meist in Krisenzeiten vom König einberufen. Es ist gut, wenn man sich nicht einbildet, alles allein zu können.

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