Leitartikel

Die Geduldsprobe

Aus ff 27 vom Donnerstag, den 02. Juli 2020

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Einen Facharzttermin im Krankenhaus zu bekommen, dauert ewig. Der Zukauf von privaten Leistungen mag da eine gute Sache sein. Das Problem an der Wurzel packt man damit aber nicht an.

Warten ist zeitraubend. Warten ist oft frustrierend und entnervend. Warten ist eine Zumutung. Im Gesundheitswesen ist Warten ein allgegenwärtiges Phänomen: Patienten warten auf eine Facharztvisite, auf Laborwerte, auf eine Operation, auf Bildgebungen.

Die Zeit hingegen, die die Patienten am meisten schätzen – die ärztliche Zuwendung – beträgt meist nur einen Bruchteil der Wartezeit. Da ist es schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die häufigen und langen Wartezeiten im Gesundheitswesen von vielen Menschen als gegeben hingenommen werden. Seit Jahren. Und seit Jahren beißt sich jeder Gesundheitslandesrat an den langen Wartezeiten die Zähne aus.

Der derzeitige zum Beispiel, Thomas Widmann, hatte noch Anfang Februar seinen „operativen Strategieplan“ zum Abbau der Wartezeiten vorgestellt. In den vier Fachbereichen HNO, Augenheilkunde, Dermatologie und Magnetresonanz sollten 90 Prozent der prioritären Visiten innerhalb von zehn Tagen erfolgen, und 80 Prozent aller aufschiebbaren Visiten innerhalb von 30 Tagen. So zumindest das Ziel und „die Herausforderung“. Fallweise, so hieß es am Rande, würden Gesundheitsleistungen auch von Privatkliniken zugekauft.

Tja, und dann kam Corona.

Die Pandemie lässt jetzt wie im Brennglas viele Probleme noch deutlicher zutage treten. Wie unter einem Brennglas bilden sich jetzt die gesellschaftspolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte ab. Die Coronakrise lehrt deshalb einmal mehr: Wir müssen im Gesundheitswesen umsteuern.

Um nicht missverstanden zu werden: Das Südtiroler Gesundheitssystem ist gut – öffentlich, allen zugänglich. Wer krank ist, bekommt alles, was zur Genesung nötig ist. Nur wurden in jüngster Vergangenheit viele Mittel gekürzt, gute Ärzte ans Ausland verloren – der Mangel an Ärzten und Pflegern ist schon lange auch bei uns angekommen. Indes bestimmt der Controller des Krankenhauses immer mehr über Verweildauer und Behandlung der Kranken. Viele Ärzte sind müde. Von der Überbürokratisierung, davon, keine Zeit für genuine ärztliche Tätigkeit zu haben, von der Gängelung durch Politik und Verwaltung. Es gibt also etliche Problemfelder im Gesundheitsbereich, die ein „Weiter so“ nicht rechtfertigen, sondern ein neues Denken und Handeln erfordern.

Der Landesrat schlägt jetzt eine Anhebung der internen Tarife für Erstvisiten vor. Dadurch, so der Gedanke, seien dann auch mehr Ärzte und Pfleger bereit, zusätzliche Leistungen außerhalb ihrer Arbeitszeit zu erbringen.

Der Zukauf von privaten Gesundheitleistungen ist eine feine und gute Sache. Klar ist aber: Er kuriert nur das Symptom, nicht die Ursache des Problems. Das Problem an der Wurzel aber packt er damit nicht an.

Es würde eine paradoxe Entwicklung einsetzen.

Mehr privat eingekaufte Leistungen bedeuten unter anderem auch mehr Arbeit für Krankenhaus-ärzte, die außerhalb der Arbeitszeit noch privat arbeiten. Mehr Arbeit schlägt sich freilich auf das Honorar nieder. Zudem ist das Arbeiten im privaten Sektor meist sehr viel attraktiver als im öffentlichen System. Es sollte also nicht verwundern, wenn viele dieser Ärzte endgültig dem öffentlichen System den Rücken kehren.

Die Frage ist, wie hoch dann noch die Motivation sein wird, die tatsächlichen strukturellen und organisatorischen Probleme – die ja schon vor Corona da waren – zu lösen.

Corona zeigt schonungslos, wie elementar wichtig es für die Gesellschaft ist, das medizinische Personal gut zu behandeln und gut zu bezahlen. Ärzte, Pflegepersonal und all die anderen Kräfte, die die Versorgung aufrechterhalten, sollten so arbeiten können, wie es ihr Berufsverständnis erfordet. Auch dann, wenn das Virus überstanden ist.

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