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Leitartikel

Die Kurve abflachen

Aus ff 36 vom Donnerstag, den 03. September 2020

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ff36_Zitat © ff media
 

In Zeiten der Pandemie hat auch die Tourismusindustrie eine Verantwortung. Es wäre höchste Zeit, dass sie diese wahrnimmt und damit aufhört, Massen ins Land zu karren.

Wir leben immer noch in Zeiten der Pandemie. Menschenansammlungen sind gefährlich, weil sich das Virus schnell ausbreiten kann. Und was macht die Südtiroler Werbeindustrie? Sie lockt Massen nach Südtirol.

Die Werbemaschinerie läuft seit Wochen auf Hochtouren, besonders in Deutschland. Ob in deutschen Magazinen, Zeitungen, auf Bushaltestellen und Bahnhöfen, es wird auf Teufel komm raus um Südtirol geworben: „Zeit für höchsten Genuss“.

Mit Erfolg. Die Berge waren in diesem Sommer voll. Die Stadtgassen und Dorfzentren waren voll. Die Autobahn und die Straßen – voll.

Das ist unverantwortlich. Das ist gefährlich, für die Gäste und für die Länder, aus denen die Gäste kommen, für uns Südtiroler.

Nun – werden viele jetzt laut rufen – wir leben nun mal vom Tourismus. Wir dürfen uns da keine Pause erlauben. Wirklich? Was ist das für eine Tourismuswirtschaft, muss man fragen, die nicht einmal für ein paar Monate ihren Rhythmus etwas verlangsamen kann, ohne gleich den Untergang vor Augen zu haben? Sie ist weder nachhaltig, noch stabil, noch zukunftsträchtig.

Der Tourismus erlebt in unserem Land seit Langem einen gewaltigen Wachstumsschub. Die positiven Auswirkungen will an dieser Stelle niemand in Abrede stellen – im Gegenteil. Wachstum aber muss gezügelt und gelenkt werden. Es braucht eine Wende! Das riefen schon vor Corona viele Menschen, Vereine und Organisationen. Der Ruf wird nun, mitten in der Pandemie, lauter.

Jetzt mal ehrlich: Wollen wir den Vor-Corona-Reiseverkehr wirklich um jeden Preis zurückhaben? Oder wollen wir einen Tourismus, der besser mit den Ansprüchen von Natur und Einwohnern abgestimmt ist? Wie beim Virus sollten wir die Chance nutzen und auch im Tourismus die Kurve abflachen.

Natürlich, es ist schwierig, einen Schnellzug wie den Tourismus bei voller Fahrt auf neuen Kurs zu bringen. Aber nun hat der Zug ja angehalten. Jetzt wäre die Zeit, darüber nachzudenken, welche Touristen kommen sollen. Bevor die Maschine wieder richtig anläuft, sollte man alles in die richtige Richtung steuern.

Jetzt steht die Törggele-Saison unmittelbar vor der Tür. Dann kommt die Zeit der Christkindlmärkte. Es geht weiter wie immer. Die Massen sollen kommen, damit die Geldmaschine ja nicht ins Stottern kommt. Aber, ach ja, selbstverständlich würden alle Veranstaltungen an die Corona-Bestimmungen angepasst werden, heißt es seitens der Organisatoren.

Wie soll das gehen? Christkindlmarkt mit 1,50 Meter Abstand – am besten ohne Alkohol? Nach dem zweiten, dritten Becher Glühwein ist Corona ja ganz schnell vergessen – und alles wie vorher, ohne Abstand. Das wird nicht funktionieren.

In Zeiten der Pandemie hat auch die Tourismusindustrie eine moralische Pflicht. Sie hat eine Verantwortung. Höchste Zeit, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt und damit aufhört, Massen ins Land zu karren. Das kann sie – wenn sie unbedingt meint – tun, wenn einmal die Pandemie überwunden ist. Doch jetzt soll sie es bleiben lassen, in unser aller Interesse.

Und wer sich nun Sorgen macht, dass Südtirols Wirtschaft in die Knie geht, dem sei gesagt: Touristen kommen in unser Land, sehr viele ganz ohne Werbung.

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