Leitartikel

Die Landpartei

Aus ff 40 vom Donnerstag, den 01. Oktober 2020

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De SVP schwächelt in Bozen, noch mehr in Meran. Ihr Angebot überzeugt Stadtbewohner nicht. Vielleicht auch deshalb, weil es meistens nicht um Werte geht, sondern um persönliche Neigungen oder die Wahrung des Besitzstandes.

Bei 150.000 Südtirolern hat die Südtiroler Volkspartei keine Mehrheit mehr. Auf dem Land vermag die (einst) große Partei sich immer wieder zu regenerieren, doch dort, wo es urban wird (in Bozen, Meran oder auch in Leifers) wirkt sie seltsam desorientiert.

Auf dem Land lassen sich die verschiedenen Interessen leichter bedienen, die Bedürfnisse von Bauern und Handwerkern befriedigen, doch für Stadtbewohner hat die SVP wenig im Angebot (außer Großprojekte). Auch sind Stadtbewohner resistenter gegen Druck. Wer sich in einem kleinen Dorf in Opposition begibt, wird immer noch gerne an den Rand gedrängt. Faktum ist: Die SVP ist keine Partei für Stadtbewohner, die gerne in der Stadt leben, aber manchmal hinaus müssen, die nicht nur das Bestehende verwalten wollen, die nicht glauben, dass Migration eine Bedrohung ist und Kultur eine Nebensache.

Vielleicht liegen die Gründe für das magere Abschneiden in Bozen und Meran aber auch im Wankelmut der Partei – denn gerade dort, in den Städten, prallen die unterschiedlichen Vorstellungen von Politik und Gesellschaft härter aufeinander als auf dem Land, werden Unterschiede deutlicher.

Die SVP verbündet sich in der Regel mit dem, der am meisten bietet oder dem, der am wenigsten stört, und nicht mit dem, der die besseren Ideen hat oder aufgrund seiner Erfahrung das Rüstzeug für Regierungsarbeit mitbringt. Im Ernstfall hat man die Lega lieber als die Grünen. Werte und Grundhaltungen? Der Opportunität geopfert.

So regiert die SVP im Land mit der Lega. Es funktioniert wie immer und vorher auch schon mit dem Partito Democratico: Jedem sein Gärtchen. Der Partner macht sich klein. Die Lega ist bei den Gemeindewahlen im Vergleich zu den Landtagswahlen schon geschrumpft.

Die SVP hat in der Vergangenheit oft bewiesen, dass ihr jeder Bündnispartner recht ist, wenn das Angebot stimmt. Nach dem Sturz der 5-Stelle-Lega-Regierung in Italien handelt man jetzt ungeniert mit der 5-Stelle-PD-Regierung. Die einen in der Partei (Senator Meinrad Durnwalder & Co.) können besser mit der Lega (wie auch so mancher Exponent der SVP in Bozen), die anderen (Julia Unterberger & Co.) besser mit dem
Partito Democratico.

Eine klare Kante ist das nicht. Das mag nützen, wenn es um Geld aus Rom geht, aber das verdirbt die Seele der Partei. Wofür steht sie dann noch? Für alles. Und zugleich für nichts.

Nach der ersten Runde der Gemeindewahlen hatte die SVP zwei wichtige Entscheidungen zu treffen. Wen unterstützen in der Stichwahl für den Bürgermeister in Bozen und Meran? In Bozen schwächelt die SVP (hier ist sie immer noch eine Bauernpartei, die Besitzstände verteidigt), in Meran schwächelt sie noch mehr (ihr Kandidat schaffte es nicht einmal in die Stichwahl). In Bozen hat die Partei sich schnell für den bisherigen Bündnispartner Renzo Caramaschi entschieden. Er garantiert Kontinuität und den Besitzstand der SVP. Es war opportun, so zu entscheiden.

In Meran hat sich die SVP für neutral erklärt, obwohl sie die vergangenen fünf Jahre mit Paul Rösch regiert hat, einem der zwei Kontrahenten in der Stichwahl am 4. Oktober. Hintenherum freilich wirbt man nicht für Paul Rösch, sondern für Dario Dal Medico. Die SVP will plötzlich einen italienischen Bürgermeister in Meran, wo sie doch jahrelang um einen deutschen Bürgermeister in der Stadt gekämpft hat. Ja, auch hier gilt das Opportunitätsgebot. Denn die Partei kann einen Dal Medico leichter biegen als einen Rösch. Und mit einem liberalen Grünen hat die SVP immer noch mehr Bauchweh als mit einem italienischen Rechtsausleger. Wird Dal Medico Bürgermeister, wird die SVP mit ihm und den Rechten regieren.

Werte, Haltungen, die eigenen Grundsätze. Nicht so wichtig. Wichtiger sind die eigenen kleinen Interessen oder die Bauch-Abneigung gegen einen politischen Gegner, der durch eine klare Haltung überzeugt.

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