Leitartikel

Von denen nehmen, die haben

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 10. Dezember 2020

Georg Mair Zitat
Der Staat schnürt Hilfspaket um Hilfspaket. Doch die Kohle, über die er verfügt, ist nur gepumpt. Wenn die Hilfe aufhört, droht eine schwere soziale Krise.
 

Der Staat macht Schulden, um die Covid-Krise zu dämpfen. Doch woher das Geld ­nehmen, um hinterher die Schulden zu bezahlen? Verteilen wir doch den gesellschaftlichen Reichtum anders.

Drei Prozent der Italiener besitzen 34 Prozent des Reichtums des Landes. Die Schere zwischen Reich und Arm tut sich weiter auf, gerade in der Corona-Krise, 10 Millionen Arbeitnehmer warten auf die Erneuerung ihres Kollektivvertrags, im zweiten Drittel des Jahres gingen 841.000 Arbeitsplätze verloren, 1,4 Millionen Menschen (60 Prozent Frauen) suchen gar nicht einmal mehr eine Arbeit, 17 Prozent der Menschen können sich keine unvorhergesehenen Ausgaben leisten. Was tun also, wenn der Kühlschrank kaputtgeht?

Das ist eine handfeste soziale Krise. Sie wird im Moment gedämpft durch die Gießkanne des Staates, der mit viel Geld die Krise bekämpft. Aber was passiert, wenn im Frühjahr das Kündigungsverbot und die Lohnausgleichskasse enden? Dann wird sich die Krise verschärfen, weil die Ressourcen des Staates endlich sind, selbst wenn die in Rom sich über die Verwendung der EU-Hilfsgelder einig werden. So oder so schnürt die Regierung Hilfs-paket um Hilfspaket, als wären die Gelder dafür endlos. Das ist sozialer, gesellschaftlicher und politischer Sprengstoff.

Die Coronakrise hat alle Schuldengrenzen gesprengt. Italien weist mittlerweile ein Defizit von 2.600 Milliarden Euro auf, die Neuverschuldung ist im ersten Halbjahr 2020 um 10 Prozent gestiegen, die Schulden machen 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Die EU-Buchhalter haben es längst aufgegeben, die Einhaltung der Haushaltsregeln anzumahnen: maximal drei Prozent Neuverschuldung, Schuldenstand maximal 60 Prozent des BIP.

Woher soll also das Geld kommen, wenn die Schulden fällig werden?

Sollten nicht eigentlich, das nur in Klammern, regelmäßig alle Schulden gestrichen werden, staatliche wie private, um Menschen und Staaten einen Neuanfang in Würde zu ermöglichen, um nicht Menschen über viele Jahre hinweg in einer demütigenden Abhängigkeit zu halten, oder Staaten, Beispiel Griechenland, am Gängelband zu führen?

Nun, es gibt viele andere Möglichkeiten als einen radikalen Schuldenschnitt. Eine digitale Steuer, die die Internetkonzerne zur Kasse bittet, die Gewinner der Krise wie Amazon, Google, Facebook, Microsoft oder Apple – die ja gerne wohltätig sind, weil Wohltaten erstens abhängig machen und zweitens eine gute Publicity garantieren, die aber ungern Steuern zahlen. Eine Finanztransaktionssteuer – selbst eine geringe Abgabe auf Aktiengeschäfte würde große Wirkung zeigen und träfe den Teil der Wirtschaft, der keine Arbeitsplätze schafft und die Welt 2008 in eine tiefe Krise gestürzt hat – jene, die Arbeitnehmer schon damals teuer bezahlt haben. Eine Erbschaftssteuer, die verhindern würde, dass einige wenige Familien immer mehr Geld und Vermögen anhäufen – und damit auch Macht und Einfluss.

Und es gäbe auch die Möglichkeit, Vermögen zu besteuern – dass es in Südtirol Menschen gibt, die gut verdienen, zeigt das jährliche ff-Ranking der Topunternehmen und die Liste der Topverdiener aus Politik und Verwaltung in diesem Heft. Warum sollten reiche Menschen nicht etwas von dem abgeben, was sie haben? Treibt es jemanden, der über 100.000 Euro netto im Jahr verdient, in den Ruin, wenn er mehr abgibt als bisher? Nein, tut es nicht.

Dieter Steger, SVP-Senator, Lobbyist der Wirtschaft (einmal Lobbyist, immer Lobbyist) hat schon erregt eine Vermögenssteuer abgelehnt – das würde die Mittelschicht noch mehr in Mitleidenschaft ziehen. Aber Steger ist mit seinem Geplärr nicht allein, selbst die Linke erweist sich in dieser Frage als schrecklich schüchtern.

Ja, Menschen, die haben, würden ein bisschen weniger haben. Aber in der Krise, die wir haben, ist es nur recht und billig, etwas von seinem Reichtum abzugeben. Sonst müssen wir fürchten, dass Südtirol eine tiefe soziale und wirtschaftliche Krise erleben wird. Sie würde vor allem die Menschen treffen, die wenig haben, darunter auch die vielen „Heldinnen“ und „Helden“ der Covid-Krise.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.