Leitartikel

Verlorene Illusionen

Aus ff 06 vom Donnerstag, den 11. Februar 2021

Zitate
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Nach einem Jahr Pandemie gibt es eine bittere Erkenntnis: Der Südtiroler ­Sonderweg hat das Land in eine Sackgasse geführt. Und: Die Südtiroler ­Volkspartei gibt es nicht mehr.

Die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas. Wir sehen detailgenau, was in unserem Leben nicht mehr passt, was schief ist und untauglich ist. Und es kommt eines sehr deutlich zum Vorschein: Die Südtirolerinnen und Südtiroler sind mehreren Illusionen erlegen. Erstens: dass die SVP durch eine Krise führen kann. Zweitens: dass der Südtiroler Sonderweg das Nonplusultra im Kampf gegen dieses Virus ist. Und drittens: dass die Südtirolerinnen und Südtiroler immer alles besser wissen.

Nach einem Jahr Corona-Pandemie bleibt die bittere Erkenntnis, dass all diese Illusionen zerplatzt sind wie eine Seifenblase.

Die große Partei, die das Land seit Jahrzehnten regiert, ist im Lauf des Jahres untergetaucht. Sie ist zerrissen und zerstritten, orientierungslos und inhaltlich entkernt. Seit die Wirtschaft nicht mehr brummt und der Wohlstand bröckelt, strauchelt die SVP. Sie stolperte hilflos durch die vergangenen Wochen. Es stellt sich heraus, dass sie eine Schönwetterpartei ist. Im Grunde genommen gibt es sie nicht mehr.

In so einer Krise bräuchte es starke Führungsfiguren. Der Landeshauptmann, der Parteiobmann und die restlichen Regierungsmitglieder füllen diese Aufgabe nicht aus. Was an der Spitze so schmerzlich fehlt: Unerschrockenheit, erfrischende Klarheit und vor allem: eine verlässliche und vertrauenerweckende Kommunikation. So viele Misstöne und so viel Auseinanderdriften wie in den vergangenen Tagen hat es unterm Edelweiß seit Ausbruch der Pandemie noch nicht gegeben.

Illusion Nummer zwei: Diese zweite -Corona-Welle hat gezeigt, wo die Grenzen einer Politik liegen, die einerseits versucht, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, und andererseits so viel Freiheit wie möglich erhalten will. Während der Rest Italiens jetzt öffnet, sperrt Südtirol jetzt zu. Während viele Skigebiete in Nachbarregionen in Kürze ihren Betrieb aufnehmen können, bleiben Südtirols Pisten wohl weiterhin leer.

Der viel zitierte Südtiroler Sonderweg, den Landesregierung und SVP in dieser Pandemie beschritten haben, ist gescheitert. Er hat das Land in eine Sackgasse geführt. Neben Portugal zählt Südtirol zurzeit zu den Top-Hotspots in Europa.

Bleibt noch Illusion Nummer drei: Südtirol ist keine Insel der Seligen, sie ist eine Insel der Disziplin-losen. Eine Art gallisches Dorf, das die Existenz des Virus verdrängt. Trotz der rasenden Verbreitung des Virus ignorieren viele Menschen im Land die Regeln, ja, sie scheren sich keinen Deut darum. Es herrscht eine auffällige, gefährliche Lässigkeit im Umgang mit dem Virus.

Ja, in jeder Krise werden Fehler gemacht. Und ja, vielleicht sind einige Einschränkungen und Maßnahmen sinnlos. All das wird aufzuarbeiten sein. Diese Pandemie hält uns allen einen Spiegel vor, als Gesellschaft, aber auch als Einzelpersonen. Höchste Zeit, dass wir daraus lernen!

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