Leitartikel

Zu klein gedacht

Aus ff 40 vom Donnerstag, den 07. Oktober 2021

 

Südtirol hat einen Personalmangel im Gesundheitsbereich und in der Schule. Die Landesregierungen haben lange zugeschaut. Jetzt ist die Grundversorgung gefährdet.

Es begab sich vor ein paar Wochen, da wurde ein Mann dafür gefeiert, dass er 80 wurde. Viele Menschen begaben sich zu seinem Haus und machten einen Knicks vor dem Alten, vor Altlandeshauptmann Luis Durnwander.

Im Jahre 1997 trug sich ein Ereignis zu, das Südtirol in eine neue Zeit schubste. Luis Durnwalder, damals noch Landesfürst, ließ es zu, dass Südtirol eine Hochschule bekam, die Freie Universität Bozen. Es war keine neue Straße, keine neue Umfahrung, „nur“ eine Uni, aber es war ein Fortschritt.

Das Gebilde war klein und mager, als es zur Welt kam. Es diente vorwiegend der Ausbildung der Grundschullehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Man blieb im Rahmen der autonomen Zuständigkeiten des Landes.

Das Gebilde wurde größer und ein bisschen fetter. Es kamen Ausbildungen hinzu für Bereiche, die in Südtirol mehr zählen als alles andere: die Wirtschaft und der Tourismus. Denn da war ja noch die Landesuniversität draußen in Innsbruck, ein Heiligtum.

Die Freie Universität Bozen war ein Meilenstein für Südtirol, aber heute zeigt sich, dass Luis Durnwalder (und sein Nachfolger Arno Kompatscher) zu verzagt waren, wenn es um die Bildung und die Ausbildung von jungen Menschen nach der Matura ging. Sie dachten viel zu klein.

Deswegen hat Südtirol jetzt einen veritablen Ausbildungsnotstand, einen Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitsbereich, in der Pflege und in der Schule.

Man weiß seit Jahren, wie viele Menschen in diesen Bereichen wann in Pension gehen. Das ist leicht zu berechnen. Passiert ist nichts: Ein Versagen der verantwortlichen Politiker.

Jetzt muss man eilig Löcher stopfen, für viel Geld Abkommen mit anderen Universitäten schließen oder schnell, schnell selber Studiengänge zusammenschrauben wie etwa für Medizin – in Zusammenarbeit mit einer katholischen Privatuniversität aus Rom. Das kostet viel Geld, das sind Lösungen, die sich erst bewähren müssen. Denn wer hat diese Ausbildung entworfen, wer sind die Professoren, wer sorgt für die praktische Ausbildung, kann sie die notwendige Qualität garantieren?

Ähnlich ist es in der Schule. Zuerst hat man über Nacht die Ausbildungsplätze für Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen an der bildungswissenschaftlichen Fakultät aufgestockt (und dabei Qualitätsansprüche fahren lassen) und damit die Universität in personelle und räumliche Verlegenheit gebracht. Und hat jetzt noch einen Bypass gelegt, einen Lehrgang, bei dem sich Leute mit Matura zu Grundschullehrerinnen umschulen lassen können. Und parallel dazu schon in der Klasse stehen.

Viele Dörfer in Südtirol haben schon keinen Pfarrer mehr. Was tun die Leute auf dem Dorf, wenn bald auch der Doktor nicht mehr da ist? Oder wenn in der Schule die Lehrerinnen fehlen? Wenn also das Recht auf Bildung und Gesundheit erodiert.

Die Uni ist groß und schön, die Claudiana, an der Pflegepersonal zum Universitätsdiplom gebracht wird, ist groß und schön, viele Schulen sind groß und schön. Die Landesregierungen mochten es, wenn groß gebaut wurde. Für das, was danach kommt, war und ist das Interesse deutlich geringer. Denn, um den Personalmangel in Gesundheit und Bildung zu beheben, hätte man längst schon mehr Geld in die Hand nehmen, kreative Lösungen finden müssen.

Wie findet man Menschen für diese Berufe, die viel Einsatz verlangen, in denen viele Frauen arbeiten? Eine banale Idee: mehr Wertschätzung, mehr Gehalt, mehr Mitbestimmung. Gerade die Menschen, die in der Pandemie noch beklatscht wurden, sind wieder unsichtbar geworden.

Machen wir so weiter, gefährden wir die Grundversorgung in Bereichen, die für die Gesellschaft wesentlich sind: in Bildung und Gesundheit.

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