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Leitartikel
Gegen die Wut
Aus ff 43 vom Donnerstag, den 28. Oktober 2021
Gottfried Solderer (1949–2021) hat mit Sanftmut und Hartnäckigkeit für mehr Medienvielfalt in Südtirol gesorgt. Sein Vermächtnis ist wichtiger denn je – trotz Google und Facebook.
Manchmal sind Menschen wütend. Kann passieren. Einige in Südtirol lehnen zum Beispiel den Grünen Pass ab und gehen dagegen auf die Straße. Das ist legitim. Was jedoch nicht geht, sind Juden- oder Nazivergleiche, die bei solchen Demos immer wieder auftauchen.
Einiges an Wut hat sich offenbar auch beim ehemaligen Schützenchef Jürgen Wirth-Anderlan aufgestaut. Er beschimpft Südtirols Politikbetrieb als Hort der „verlogenen Penner und Verbrecher“, die eines Tages für ihr Tun vor Gericht stehen würden. Solche Ausbrüche sind klar abzulehnen und zu verurteilen.
Befeuert und am Laufen gehalten wird solcherlei Wut mithilfe des Internets. Ob Facebook, Twitter oder Instagram, überall beherrschen die Wütenden die Szene. Sie kapern Foren, streuen Falschinformationen, schüren Hass, Neid und Missgunst, drohen jenen, die anderer Ansicht sind, mit Gewalt und Vergeltung. Rasch kann so der Eindruck entstehen: Die ganze Menschheit ist ein einziger Mob aus Aggressoren und Zukurzgekommenen.
Dabei stimmt das gar nicht. Es ist aber so, dass eine laute Minderheit einer schweigenden Mehrheit zusehends den Schneid abkauft und sie verunsichert.
Einer, der sich von solchen Tiraden stets unbeeindruckt gezeigt hat, war Gottfried Solderer (1949–2021), einer der Gründerväter von ff. Er hat dem damaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder zum 70. einen klugen Rat mit auf den Weg gegeben: Lieber Luis, öffne dein Land und lass den Menschen mehr Luft zum Schnaufen! Damit sie sich nicht irgendwann in jene Wutbürger verwandeln, wie man sie überall in Europa erlebt.
Das war im Jahr 2011. Jetzt, zehn Jahre später, ist Gottfried Solderer tot. Sein Vermächtnis aber bleibt. Es ist aktueller denn je. Solderer hat dem Land mit Sanftmut und Hartnäckigkeit mehr Medienvielfalt geschenkt. Nicht nur mit der Gründung der ff, an der er maßgeblich beteiligt war und die er zehn Jahre als Chefredakteur geführt hat. Sondern auch mit dem Raetia-Verlag, den er anschließend aufgebaut und geleitet hat.
Medienvielfalt war ihm, der vielen oft wie ein larmoyanter Zauderer erschien, äußerst wichtig. Doch seine Larmoyanz und sein Zaudern waren Fassade, im Hinterkopf verfolgte er beharrlich seinen Plan. Dazu gehörte es stets, über den Tellerrand hinauszuschauen, das große Ganze zu erkennen, sich nicht in der eigenen Echokammer zu verlieren.
Vielfalt statt Einfalt. So hätte auch seine geplante Autobiografie heißen sollen. Die Einfalt findet sekündlich in den sozialen Medien statt. Der digitale Stammtisch hat aber seine Tücken: Er kreist immer um sich selbst, wer oder was nicht dazupasst, wird schnell beschimpft, ausgegrenzt, fortgejagt.
Anders die Vielfalt. Sie speist sich aus den verschiedensten Meinungen – die aber immer auf dem Boden der Tatsachen fußen müssen. Das zu bewerten, zu gewichten, einzuordnen und zu erklären, ist die Aufgabe von Journalisten. Ihre Arbeit ist es, Öffentlichkeit herzustellen, die Menschen mit gesellschaftlich relevanten Informationen zu versorgen.
Falschinformationen, Hass, Wut oder Verleumdung können so herausgefiltert und in den Papierkorb geworfen werden. In einer Zeit, in der wir von Nachrichten regelrecht überflutet werden, ist diese Arbeit wichtiger denn je.
Den Wütenden ist das natürlich nicht recht, sie hetzen gezielt gegen „die Medien“ oder schlimmer noch gegen „die Lügenpresse“. Bei diesen – klassischen – Medien arbeiten aber Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen abwägen und jene Nachrichten bringen, die wichtig und richtig sind.
Gegen die Wut. Für das Gespräch, den Dialog und den Kompromiss. Nur so kann eine Gesellschaft funktionieren. Nur so wird Vertrauen geschaffen. Und nur so können Probleme gelöst werden. Das können wir von Gottfried Solderer lernen.
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