Leitartikel

Hoffen. Warten. Aber worauf?

Aus ff 51 vom Donnerstag, den 23. Dezember 2021

 

Menschen sind fähig, Wunder zu bewirken. Wenn sie sich selbst vergessen, und dafür den anderen wahrnehmen.

Letztes Jahr feierten wir ein einsames Weihnachtsfest. Nähe zu anderen Menschen bedeutete Gefahr. Wir müssen durchhalten, dachten wir 2020, nur noch ein wenig die Zähne zusammenbeißen. Dann würden die Impfstoffe den Albtraum beenden.

Ein Jahr später, 2021, heißt die Botschaft zu den Festtagen wieder: Durchhalten. Hoffen. Warten. Aber worauf? Klar ist mittlerweile nur noch eines: Dass gar nichts mehr klar ist.

Alpha, Beta, Delta, Omikron – seit zwei Jahren wütet die Pandemie unter immer neuen Namen. Geht es jetzt einfach immer weiter, oder hat dieser Schrecken irgendwann ein Ende? Werden wir auch die Adventszeit 2022 in Einsamkeit verbringen, während eine neue Variante des Coronavirus auf dem Vormarsch ist?

Es ist die Zeit des Zweifels, der Unsicherheit, der inneren Widersprüche. Das wenige an Gewissheit, das es in den vergangenen Monaten gab, bröckelt wieder. Durften sich alle doppelt Geimpften bislang noch gut geschützt fühlen, sollten sie jetzt am besten schon seit vorgestern geboostert sein. Gedanklich kann man sich schon mal auf Impfung Nummer vier einstellen. Um nach Österreich zu kommen, braucht es 2G plus oder Booster. -Omikron, so heißt es, könnte eine „starke Welle“ werden, und dass diese Variante „hochgradig übertragbar“ sei. Aber nichts Genaues weiß man bisher nicht.

Für viele Menschen sind die Corona-Nachrichten nur mehr das Begleitgeräusch einer tief empfundenen Pandemiemüdigkeit. Viele schockiert nichts mehr. Jeder ist damit beschäftigt, durchzuhalten, weiterzumachen, irgendwie. Man sei müde und ausgezehrt, sagen die Bozner Primare, mit denen wir für die aktuelle Titelgeschichte gesprochen haben. Und so geht es auch vielen Südtirolerinnen und Südtirolern.

Alte Gewissheiten sind dahin. Sie sind einem Ohnmachtsgefühl gewichen. Das Weihnachtsgefühl 2021 ist daher nicht besonders wohlig, sondern bang. Es ist das Gefühl der Unsicherheit. Man wünscht sich kein neues Handy, das einem die schlechten Nachrichten noch schöner präsentiert. Man wünscht sich etwas Großes. Zum Beispiel, dass der Engel, der in der Weihnachtsgeschichte „Friede auf Erden“ verkündet, vielleicht doch nicht gelogen hat.

Aber Wünsche erfüllt kein Engel. Wünsche erfüllen sich die Menschen selbst.

Das beginnt mit Zuhören, mit Nachfragen, mit Miteinander-Reden. Damit, dass man den Menschen hinter der Nachricht sieht. Und dass man sein Gegenüber als Mensch und nicht als Gefahr wahrnimmt. Man muss den Menschen neben sich nicht mögen, auch nicht mit ihm einer Meinung sein, aber man muss ihn respektieren. Ihn also so behandeln, wie man selber behandelt werden will. Das ist im Grunde die Botschaft der Weihnachtsgeschichte. Und das sollte auch die Botschaft für diese zweite Corona-Weihnacht sein.

Denn: Diese Pandemie wird leider allzu oft durch Zahlen erfasst – Inzidenzen, Neuinfektionen, Todesfälle, Impfquoten und und und. Die Geschichten dahinter interessieren sehr oft niemanden. Eine Lebensgeschichte aber ist nicht die Summe bestimmter Zahlen, sondern eine Erzählung darüber, was eben nicht berechenbar ist. Die Weihnachtsgeschichte ist ein Beispiel. Sie ist eine Hoffnungsgeschichte.

Geschichten wie diese zu erzählen, schützt davor, im Gefühl der Ohnmacht zu versinken. Deshalb haben wir uns für diese letzte ff-Ausgabe in diesem Jahr dazu entschieden, noch einmal mit einigen jener Menschen zu reden, mit denen wir uns 2021 getroffen haben. Wir haben nachgefragt, wie es mit ihnen weiterging, nachdem wir über sie geschrieben hatten. Es sind Geschichten, die von viel Kraft und Mut erzählen, vom Aushalten und Durchhalten. Sie zeigen, dass Mitgefühl und Solidarität, bei aller Schwere der Pandemie für alle, nicht verschwunden sind. Sie können uns in dieser Zeit ein Stück weit auch trösten.

Menschen sind fähig, Wunder zu bewirken und die Welt zu verändern. Wenn man sich selbst mal vergisst, und dafür den anderen richtig wahrnimmt.

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