Leitartikel

Ehre dem ehrenvollsten Amt

Aus ff 03 vom Donnerstag, den 20. Januar 2022

Leitartikel 03-22
Italien verdient mehr als einen Bunga-Bunga-Präsidenten. Gerade in Zeiten wie diesen. © FF Media
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Italien mausert sich zum Mustereuropäer. Jetzt hat das Land ein Oberhaupt verdient, das Mattarellas Erbe mit Demut und Weitsicht weiterführt.

Am Montag geht es los. 1.009 Wahlleute kommen im römischen Palazzo Montecitorio zusammen, um die Nachfolge von Staatspräsident Sergio Mattarella zu bestimmen. Der einzige bisher offizielle Kandidat ist ein alter Bekannter: Silvio Berlusconi, Medientycoon, viermaliger Ministerpräsident und Leader von Forza Italia. Die Mitte-rechts-Parteien haben ihm vorerst ihre Unterstützung zugesagt.

Es ist unglaublich, aber Berlusconi ist mit Macht zurück. Weder sein Alter noch seine Corona-Infektion können dem Cavaliere etwas anhaben. Und er ist wie immer: Er schert sich um nichts. Es stört ihn nicht, dass ausgerechnet während der Staatspräsidentenwahl der sogenannte Ruby-Prozess – die Anklage wirft Berlusconi unter anderem Förderung der Prostitution vor – in die nächste Runde geht. Er platzt geradezu vor Selbstbewusstsein. Er sei der einzig Richtige, um das ehrenvollste Amt des Landes zu übernehmen.

Dass er Italien durch seine zahllosen Skandale immensen Schaden zugefügt hat, kümmert ihn kein bisschen. Er sieht sich als Opfer einer politisierten Justiz. Dabei ist die Liste an Vorwürfen schier endlos lang.

Knapp 30 Verfahren liefen in den vergangenen 30 Jahren gegen Berlusconi. Die Vorwürfe reichen von Steuerhinterziehung über Mafia-Verbindungen bis hin zu Bestechung. Jede Anschuldigung nutzte er für heftige Tiraden gegen Richter. Ausgerechnet der Mann, der die Justiz so heftig beschimpft hat, schickt sich nun an, ihren Vorsitz zu übernehmen: Als Staatspräsident wäre er Chef des CSM, also des Obersten Gerichtsrats.

Viele Italiener schütteln ungläubig den Kopf. Auch gibt es Kritik prominenter Politiker. So hält der Chef der Fünfsternebewegung Giuseppe Conte die Wahl Berlusconis für völlig undenkbar. Lautstarke Proteste bleiben aber aus. Im Gegenteil: Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, sprach sich sogar in lobenden Worten für ihn aus: Berlusconi sei ein großer Staatsmann. SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann zeigte Verständnis für Webers Unterstützung. In der SVP hingegen waren längst nicht alle dafür (siehe Artikel auf Seite 14). Letztlich sprach sich die Parteileitung gegen eine Unterstützung Belusconis aus. Alles andere könnte sich das Edelweiß, das seit Bekanntwerden des SVP-Sad-Filzes wie zerrissen wirkt, auch gar nicht leisten. Es reicht, dass der Landeshauptmann die Machtfrage gestellt hat, Karl Zeller gegen die Athesia schießt, Meinungsforscher Hermann Atz den Parteiausschluss von Altlandeshauptmann Luis Durnwalder fordert und die Mitgliederzahlen einen historischen Tiefstand erreicht haben. Eine Unterstützung Berlusconis wäre der endgültige Genickbruch.

Zurück aber zum Cavalliere. Seine Kandidatur ist keineswegs aussichtslos. In den ersten drei Durchgängen – da ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, sprich 673 Stimmen – wird er wohl keine Chance haben. Nach der vierten Wahlrunde könnte er aber gewinnen. Dann reichen 505 Stimmen. 451 Stimmen sollten ihm vom Mitte-rechts-Lager sicher sein, und die fehlenden 54 Wahlleute umgarnt er bereits und macht ihnen angeblich allerlei Versprechungen.

Dass Giorgia Meloni, die Fratelli-D’Italia-Vorsitzende, und Lega-Chef Matteo Salvini für das ehrenvollste Amt des Landes keine Alternative zu Berlusconi gefunden haben, ist ein Armutszeugnis für Mitte-rechts. Doch im Gegensatz zu Mitte-links haben sie zumindest einen gemeinsamen Kandidaten. Denn die Parteiführer von PD und Fünfsternebewegung scheinen ideenlos, planlos. Sie wissen nicht, wie mit Ministerpräsident Mario Draghi umgehen, den sich viele Italiener im höchsten Amt des Staates wünschen. Draghi aber lässt sich auch wenige Tage vor der Wahl nicht in die Karten schauen.

Einzige Hoffnung ist derzeit die geheime Wahl. Wie so oft könnte ein völlig überraschender Kandidat zum Staatspräsidenten – oder hoffentlich erstmals zur Staatspräsidentin – gewählt werden. Man muss also auf den „Zufall“ hoffen. Denn Italien verdient mehr als einen Bunga-Bunga-Präsidenten – gerade in Zeiten wie diesen.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
20. Januar 2022, 11:31

Bedenklicher ist doch anderes.
Wo gibt es sowas sonst in westlichen demokratischen Ländern, dass Delegierte der Regionen bei dieser Wahlversammlung nur abgesondert und abseits auf den Zuschauertribüne verbannt ihre Stimme abgeben dürfen?
Völlig undenkbar, z.B. in der BRD...
Auch sehr eigen: Da stellt sich tatsächlich ein Berlusconi über Wochen und Wochen als einziger Kandidat hin. Von den anderen hingegen im Dunkeln sieht/weiß die (Öffentlichkeit zumindest) selbst einige Tage vor der Wahl noch nichts.
Das Prozedere hat eher was von einem absolutistischen Staate, wie im Vatikan, als mit einer modernen, transparenten Demokratie.
Es verrät jedenfalls viel über die Kultur und das reale politische System in Italien. antworten

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