Leitartikel

Es war ein schöner Traum

Aus ff 09 vom Donnerstag, den 03. März 2022

Leitartikel 09-22
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Wir leben jetzt im Zeitalter der Angst, Krieg ist wieder eine Option der Politik.Das zwingt uns zu einem Umdenken, das bitter für alle ist.

Der Mann im Rollstuhl sagt: Es kommt der dritte Weltkrieg. Er hat als Kind den Zweiten erlebt. Er war nicht im Krieg. Er ist 90, er hat trotzdem Angst.

Angst ist eine der Waffen von Wladimir Putin. Er hat sie eingesetzt, als er die russische Armee die Ukraine überfallen ließ oder als er die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzte. Wer sich Putin widersetzt, muss die Angst überwinden, die eine lähmende Kraft ist.

Jetzt ist es so weit gekommen, dass wir im Frieden Angst haben müssen, auch wenn es vielleicht angemessener ist, unsere Südtiroler Angst Sorge zu nennen. Angst um ihre Freiheit und ihr Leben müssen die Menschen in der Ukraine haben.

Aber die Sorge wird auch uns begleiten, sie wird bleiben. Der Krieg in der Ukraine wird uns in ein Zeitalter katapultieren, das längst vergangen schien, als sich zwei Systeme bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden, oder noch davor sich ein Diktator herausnahm, den Nachbarn zu überfallen. Die Vergangenheit scheint jetzt die Zukunft.

Was wird das für eine Welt sein, die wir unseren Kindern hinterlassen?

Wir sind aus unseren Träumen gerissen worden. Und sie waren ja schön, die Träume vom ewigen Frieden, für den wir nichts tun müssen, von einer gewaltfreien Welt, in der man nur miteinander reden oder Geschäfte machen muss, um Konflikte zu entschärfen. Jetzt müssen wir schmerzhaft begreifen, dass Freiheit und Demokratie auch Wehrhaftigkeit bedeutet, Reden nicht immer hilft. Sich wehren, auch für uns, das macht im Moment die Ukraine. Europa wehrt sich mit Waffenlieferungen und wirtschaftlichen Sanktionen. Absurd genug: Ein Krieg näht die EU zusammen.

Jetzt müssen sogar die Grünen, die Vertreter der Pazifisten und Abrüster, umdenken. Robert Habeck, ehemals ihr Vorsitzender und jetzt Wirtschafts- und Klimaminister, sagte im Bundestag, er habe große Achtung vor einem „absoluten Pazifismus“, aber er halte ihn für falsch. Das wird für Diskussionen sorgen – und wir sollten auch jetzt darüber streiten, was zu tun ist, wenn wir eine Demokratie sein wollen. Und hämische Kommentare über ein Umdenken treffen nur uns selber.

Es gibt jetzt viele Leute, die es immer schon gewusst haben: Dass ein Staat sich bewaffnen muss, um seine Werte zu verteidigen. Viele dieser Leute hätten vor zehn Jahren diejenigen, die eine massive militärische Aufrüstung verlangt hätten, als Kriegstreiber angeklagt. Es ist jetzt leicht, mit dem Zeigefinger auf die Politik zu zeigen, die guten Glaubens auf die Kraft des Redens vertraut hat.

Jetzt gibt es viel Geld für Waffen und Soldaten. Das ist eine traurige Entwicklung. Krieg ist wieder eine Option der Politik – auch in Europa. Wir leben im Zeitalter der Unvernunft – die Corona-­Leugner sind auch die Putin-Versteher. So, wie die ­rechten Politiker aus Italien, allen voran von der Lega, die an Putins Hof gepilgert sind. Auch Südtiroler Politiker haben Freunde des Diktators mit allen Ehren empfangen.

Der Krieg wird Südtirol treffen, wirtschaftlich, aber da gibt es jetzt größere Sorgen. Wenn wir wehrhaft dastehen wollen, so, dass niemand einen Angriff wagt, ist ein Preis dafür zu zahlen. Es wird Auswirkungen auf unseren Wohlstand haben, wenn es keine Geschäfte mehr mit Russland gibt, kein Gas aus Russland kommt, ein Staat sich entscheiden muss, wofür er Geld zur Verfügung stellt. Aber was vielleicht schwerer wiegt: Wir sind in ein Zeitalter der Ungewissheit und der Angst eingetreten – Angst isst Seele auf. Das hat schon mit der Pandemie begonnen. Wir müssen erst lernen, damit zu leben.

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