Leitartikel

Sie haben es selbst in der Hand

Aus ff 25 vom Donnerstag, den 23. Juni 2022

 

Die Politik fördert die Milchwirtschaft. Wenn aber die Milchbauern nicht umdenken, droht ihnen der Untergang.

Können Sie sich ein Leben ohne Milch vorstellen? Nein? Sollten sie aber.

Denn die Südtiroler Milchwirtschaft steckt in einer der schwersten Krisen ihrer jüngeren Geschichte. Durchschnittlich 50,17 Cent erhielt ein Bauer im vergangenen Jahr für einen Kilo Milch. Das ist zwar mehr als in Österreich (35 Cent), trotzdem reichen diese 50 Cent nicht aus, um die Kosten zu decken. Und sie steigen weiter – Strom, Kraftfutter, Gas, alles wird teurer. Es geht vielen an die Existenz.

Die Politik bringt immer wieder Entlastung durch Förderungen. Vor einigen Wochen zum Beispiel ließen Landeshauptmann und Agrarlandesrat wissen: Um hohe Produktionskosten abzufedern würden für die ersten 30 Milchkühe pro Tier 300 Euro ausbezahlt. 15 Millionen Euro stelle man dafür zur Verfügung. Prompt ging ein Aufschrei durch das Land: Ungerecht sei das! Eine Watschen für jeden Arbeitnehmer und jede Rentnerin! Selbst viele Bauern waren alles andere als glücklich, der Tenor: Das Ganze sei zwar gut gemeint, aber im Grunde kontraproduktiv.

Dabei weiß doch jeder, wie fundamental die Milchwirtschaft für unser Land ist. Milchbauern bieten Aufträge für andere Branchen, leisten einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege, es geht um die Umwelt und um das Wohl der Tiere. Wer nur noch Verluste macht, dem fällt es schwer, mehr für die Artenvielfalt zu tun oder Kühe artgerechter zu halten.

Die Krise wird trotz finanzieller Förderungen nicht verschwinden. Die Verantwortung für die Krise tragen die Milchbauern zu einem großen Teil selbst. Die Zahl der Betriebe sinkt seit Jahren: 4.354 Milchbauern gibt es in Südtirol. Von diesen arbeitet nur ein Drittel im Vollerwerb auf dem eigenen Hof. Das sind 60 Bauern weniger als noch im Jahr 2020. Südtirols Milchbetriebe sind klein, meist noch in Familienhand, vor allem aber gefangen in Traditionen und alten Denkmustern. Doch nur weil sie klein sind, bedeutet das nicht immer zwangsläufig, dass sie keine Chancen haben.

Die Milchbauern müssen umdenken und umsteuern. Sie müssen sich bewusst werden, dass nicht die Quantität wichtig ist sondern die Qualität. Weg von der Hochleistungskuh und weg vom Kraftfutter. Hin zur regionalen Vermarktung, die Veredelung selbst in die Hand nehmen. Nischen finden, noch stärker mit dem Tourismus zusammenarbeiten – vor allem aber braucht es Kooperationen innerhalb der eigenen Branche. Warum nicht auf Gemeinschaften setzen, wo man die Tiere gemeinsam hält, gemeinsam produziert und dann gemeinsam vermarktet?

Der Strukturwandel ist nicht mehr aufzuhalten. Deshalb sollte man den kleinen Betrieben einerseits mehr Mut zusprechen, um neue Wege gehen zu können. Sie dabei unterstützen, nicht auf Teufel komm raus zu expandieren und Kühe auf Leistung zu trimmen. Auf der anderen Seite sollten die Kleinbauern selbst den Mut aufbringen, sich zu wandeln, Neues auszuprobieren.

Der Agrarwissenschaftler Christian Fischer beispielsweise sagt im Interview zur aktuellen Titelgeschichte, dass es „ratsam wäre, andere Betriebsformen auszuprobieren“. Zumal man wisse, dass der kleine klassische Familienbetrieb eben nicht für alle Ewigkeit funktionieren werde, auch wenn viele hartnäckig daran festhalten wollen.

Das Landwirtschaftsressort und der Bauernbund sind konservativ geprägte Bereiche. Aber für eine neue Milchwirtschaft müssen sie sich bewegen. Und zwar schnell. Denn es geht nicht nur um die Bauern. Es geht um einen Teil unserer Wirtschaft, um unsere Landschaft, unser Klima – und unsere Nahrung.

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