Leitartikel

Der Papst und die Abtreibung

Aus ff 28 vom Donnerstag, den 14. Juli 2022

Leitartikel 28/22
© FF Media
 

Ein sicherer Schwangerschaftsabbruch ist eine emanzipatorische Errungenschaft. Hört man dem Papst zu, erkennt man, wie flüchtig diese ist.

Ist es legitim, ist es richtig, ein menschliches Leben zu beseitigen, um ein Problem zu lösen?“ Als Papst Franziskus vergangene Woche in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters diese rhetorische Frage stellte, machte er keinen Hehl daraus, worum es ihm ging. Gleich danach verglich er die Abtreibung mit „dem Anheuern eines Auftragsmörders“.

Mit diesem Satz kriminalisiert der 85-Jährige Frauen auf der ganzen Welt. Er stellt sich gegen die Hälfte der Menschheit. Der Pontifex tut das nicht zum ersten Mal. Schon in Vergangenheit bezeichnete er Schwangerschaftsabbrüche als Mord. „Wer abtreibt, tötet“, sagte er 2021. Im Jahr 2016 sagte er, Abtreibung sei „ein Verbrechen, es heißt, einen Menschen aus dem Weg zu räumen, um einen anderen zu retten, das ist, was die Mafia tut“.

Papst Franziskus löste damit jedes Mal große Empörung aus. Auch weil er zu Beginn seines Pontifikates viele Hoffnungen geweckt hatte. Etwa als er 2013 noch zum Umgang mit Homosexuellen sagte: „Wer bin ich, über sie zu urteilen?“ In der öffentlichen Wahrnehmung gilt er immer noch als Geist der Erneuerung. Und auch als höchst sozial. Aber man muss sich zunehmend fragen: Sind seine Signale nur Taktik? Immer öfter zeigt er sich widersprüchlich. Offenheit steht gegen Konservatismus.

Klar, der Papst muss qua Amt für den Schutz des ungeborenen Lebens eintreten. Aber doch nicht mit so grausamen Worten! Er sollte genau abwägen, was er sagt und wie er es sagt. Es geht um den Rest an Glaubwürdigkeit, um die seine und um die der Kirche. Er spricht diese Sätze mitten hinein in die Missbrauchskrise. Viele Opfer und Katholiken warten auf Aufklärung, auf Gerechtigkeit. Sie warten und warten. Sie warten auf eine neue Glaubwürdigkeit der Kirchenführung.

Stattdessen redet der Papst auf eine Art, die Frauen beleidigt und Ärzte kriminalisiert. Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht: Bekomme ich dieses Kind oder nicht? Aber die Abtreibung mit Auftragsmord gleichzusetzen, hilft niemandem. Die Kirche will Kontrolle. Über Frauen, deren Körper und über die Möglichkeiten, die sie in ihrem Leben haben.

Abtreibung ist ein Tabu. Unsere Gesellschaft verurteilt Frauen, die abgetrieben haben, nach wie vor. Das hat mit Moral zu tun, mit Religion, mit Politik. Der Druck, der auf Frauen lastet, ist enorm. Keiner redet gerne darüber, über die Lebenskrisen dieser Frauen, über das Dilemma zwischen ihrem Recht, die Schwangerschaft abzubrechen, und dem ihres ungeborenen Kindes.

Die Möglichkeit eines sicheren Schwangerschaftsabbruchs ist eine emanzipatorische Errungenschaft. Leider zeigt sich, wie flüchtig dieser Fortschritt ist. Dafür reicht ein Blick in die USA: Zwei Generationen Amerikanerinnen sind in den vergangenen 50 Jahren mit dem Recht aufgewachsen, eine Schwangerschaft legal beenden zu können. Damit ist nun Schluss. Das oberste US-Gericht hat Frauen die Freiheit und das Recht genommen, über ihren Körper, ihr Leben selbst zu bestimmten.

Fängt der Kampf wieder von vorne an? Es sieht ganz so aus. Deshalb müssen wir darüber reden. Es ist nicht gottgegeben, dass unsere Gesellschaft immer emanzipierter wird.

Wenn politische Kräfte wie zurzeit in den USA oder religiöse Kräfte wie der Papst eine solche emanzipatorische Errungenschaft infrage stellen, ist das ein Rückschlag für den Feminismus. Vor allem aber ist es ein Rückschlag für eine freie Gesellschaft. Wenn an diesen Werten gerüttelt wird, sind bald schon auch andere liberale Werte in Gefahr.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.