Leitartikel

Von Ischia lernen

Aus ff 48 vom Donnerstag, den 01. Dezember 2022

Wer die Landschaft versiegelt und sich nicht an Regeln hält, wird bestraft. Das gilt für die Insel im Golf von Neapel genauso wie für Südtirol.

Auf der Insel Ischia im Golf von Neapel hat es am Wochenende ein schweres Unwetter gegeben. Die Folge waren Überschwemmungen und Erdrutsche. Dabei starben acht Menschen, vier weitere sind bis Redaktionsschluss dieses Magazins am Dienstag vermisst worden.

Jetzt könnte man das als bloße Gewalt der Natur abtun, der wir Menschen eben ausgesetzt sind. Doch das greift zu kurz. Denn es gibt mindestens zwei Faktoren, die dazukommen. Erstens die Erderhitzung: Sie führt dazu, dass Extremwetterereignisse immer häufiger werden; sogar die Rechtsregierung in Rom kündigt nun an, künftig mehr gegen den Klimawandel unternehmen zu wollen.

Und zweitens die Landschafts-
versiegelung: Sie führt dazu, dass der Boden die Niederschläge nicht mehr aufnimmt; dadurch kommt es etwa zu Überschwemmungen oder Erdrutschen. Auf Ischia ist die Versiegelung enorm. Etwa 25.000 der insgesamt 60.000 Gebäude auf der Insel sollen illegal errichtet worden sein. Und zwar überall dort, wo es besonders schön ist und wo es damit besonders viel Geld zu verdienen gibt. So sind Hänge zubetoniert und Bäche verbaut worden.

Die Politik hat dabei zugeschaut. Anstatt die illegalen Bauten abreißen zu lassen, hat sie immer wieder versucht, die unrechtmäßig errichteten Gebäude zu legalisieren. „Condono“ nennt sich so ein Erlass, der Illegales zu Legalem machen soll. Der jüngste „Condono“ geht auf 2018 zurück. Der damalige Premier Giuseppe Conte und seine Fünf-Sterne-Lega-Regierung haben den Erlass durchgedrückt. Heute möchten Conte und Lega-Chef Matteo Salvini davon nichts mehr wissen.

Der „Condono“ ist ein fatales Signal: Es bedeutet den Menschen, dass illegales Bauen im Prinzip kein Vergehen ist. Im Notfall sorgt Vater Staat dafür, dass am Ende die Legalität wieder hergestellt ist. Auf dem Papier zumindest. Die Wirklichkeit ist freilich unerbittlich. Das zeigt sich auch auf Ischia.

In Südtirol wird viel Vorsorge gegen mögliche Naturgefahren betrieben: Bäche werden gebändigt und Lawinenhänge mit Zäunen verbaut. Dafür gibt das Land jedes Jahr viele Millionen Euro aus. Trotzdem ist auch in Südtirol längst nicht alles in trockenen Tüchern. Ischia sollte uns eine Warnung sein.

Man braucht nur mit offenen Augen durch das Land gehen: Dann sieht man Industriehallen, die zu nahe an Flüssen stehen; Wohnhäuser, die man unterhalb von Felswänden hingebaut hat; oder Hotels, die bedenklich nahe bei einem Lawinenstrich stehen.

Die Politik ist auch in Südtirol sehr empfänglich für angebliche wirtschaftliche Notwendigkeiten. Die Landesregierung drückt so manches Mal ein Auge zu, etwa bei der Ausweisung von neuen Skipisten auf instabilem Gelände. Oder bei der Aufhebung von Banngebieten, weil es für die Eigentümer scheinbar unentbehrlich ist, ein Gebäude gerade an dieser Stelle zu errichten. Die Gefahr wird dabei gerne übersehen. Auch wenn Landesämter, zuständige Gremien oder Fachleute unermüdlich darauf hinweisen.

Und so geht es hinunter bis in die Gemeinden: Da werden Parkplätze zugeteert, Bäche in enge Rohre gezwängt, Hecken beseitigt. Und nun erledigen auch noch Borkenkäfer den Schutzwald. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.

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