Leitartikel

Ein besseres Neues

Aus ff 51 vom Donnerstag, den 22. Dezember 2022

Leitartikel 51-52/22
 

Ein paar fromme Wünsche für das Jahr 2023.

Ein Schlafplatz für Obdachlose. Vor Kurzem ist in Bozen ein junger Ägypter auf der Straße erfroren. Es gab keinen Platz für ihn in einer der Notschlafstellen. Jetzt schieben sich das Land und die Gemeinde Bozen die Verantwortung zu, ein unwürdiges Schauspiel. Im reichen Südtirol darf niemand auf der Straße erfrieren, egal, was sein Status ist.

Frieden. In Europa herrscht Krieg, seit dem 24. Februar 2022. Russland hat die Ukraine überfallen. Trotzdem wird der Krieg einmal enden müssen – das geht nur mit Verhandlungen und wenn beide Seiten nachgeben. Im Moment will das niemand laut sagen, weil jeder, der Verhandlungen fordert, als Putin-Versteher gebrandmarkt wird.

Klima. Auch die (Südtiroler) Unternehmer haben verstanden, dass wir mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften die Erde zerstören. Aber tun sie auch genug, um die Erde, unsere Lebensgrundlage, zu schützen, die Erderwärmung aufzuhalten? Die Frächter wollen freie Fahrt, die Hoteliers die Häuser füllen. Gröden bewirbt sich um die Ski-WM. Und das Land? Wartet noch ein halbes Jahr, um sein Nachhaltigkeitskonzept mit Maßnahmen zu füllen. Dabei liegt lange schon auf dem Tisch, was zu tun wäre.

Wohnen. Es wird viel geredet und zu wenig getan. Viele Menschen müssen zu viel Geld für die Miete ausgeben, die Wohnungsnot ist eine soziale und wirtschaftliche Bremse. Studierende und Fachkräfte bleiben weg, weil die Mieten so teuer sind, Wohnungseigentümer ihre Wohnung lieber an Feriengäste vermieten oder Baulöwen ganze Wohnblocks leer stehen lassen. Grund und Boden kann man enteignen, wenn es im öffentlichen Interesse ist, warum nicht auch Wohnungen, wenn sie jahrelang leer stehen?

Tourismus. Er geht weiter wie vor der Pandemie, im Sommer kamen wieder sehr, sehr viele Gäste nach Südtirol. Das ist gut: Der Tourismus ist ein Treiber für die Wirtschaft. Aber wo liegen seine Grenzen? Das Land hat versucht, Grenzen zu ziehen, die Vertreter der Hoteliers und Gastwirte wollen nicht wirklich welche. Wenn man will, dass die Akzeptanz bei den Einheimischen für den Tourismus erhalten bleibt, braucht es klare Grenzen, dann muss dieses Land eigentlich gar nicht beworben werden, braucht es die IDM nicht mehr.

Hilfsbereitschaft. Sie ist groß in Südtirol. Es wäre besser, es würde Kleiderkammer, Vinzibus und Lebensmittel-Tafeln gar nicht brauchen. Viele Menschen haben nicht genug, um über die Runden zu kommen. Sie müssen besser bezahlt werden. Die Krankenpflegerinnen, die Kita-Mitarbeiterinnen, die Putzkräfte, die Schulwarte – wer gut verdient, muss sich nicht an die Sozialdienste wenden. Südtirols Wirtschaft hat selbst nach der Pandemie genug, um mehr vom Ertrag mit allen und vor allem mit den eigenen Mitarbeitern zu teilen.

Was jeder lernen kann und was dringend nötig ist. Geduldiger sein, mehr reden, Konflikte und Widersprüche aushalten, Empathie zeigen, sich politisch oder ehrenamtlich engagieren, auf den anderen schauen. Und auf sich selber.

Was es noch braucht: eine streitbarere Kulturszene. Eine Uni, die sich mehr in öffentliche Belange einmischt. Eine Medienszene, die wirklich vielfältig ist, die Menschen außerhalb des Palazzo sieht – weg von Schwarz-weiß-Malerei und Personalisierung. Und nicht vergessen, dass wir in einem Wohlstandsland leben, in einer Demokratie, die es uns erlaubt, kritisch zu sein. Und um die wir uns bemühen müssen, wenn wir sie nicht verlieren wollen.

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