Leitartikel

Die Welt ist kein Jammertal

Aus ff 01 vom Donnerstag, den 05. Januar 2023

Im Journalismus Tätige sollten sich öfter selber hinterfragen. Und weniger schwarz-weiß-malen. Das wäre ein Dienst an Gesellschaft und Demokratie.

Eine Schwäche von Medienleuten ist die Besserwisserei. Sie wissen oft besser als jeder Politiker, wie die Welt geht und wie sie auszuschauen hat. Da geht dann fast jede Woche die Welt unter und die Welt ist ein Jammertal – auch wenn es den Menschen immer noch gut geht. Es wird schwarz gemalt, egal wie der Mann oder die Frau an der Spitze heißt. Was jetzt passieren muss, heißt es dann oft in den Kommentaren. Sicher ist: Es muss immer viel passieren, damit es besser wird.

Im Journalismus Tätige sollten sich öfter selber hinterfragen. Etwa, ob man nicht an Besser-wisseritis leidet. Oder die Dinge nur schwarz malt und meint, es könne nur schlechter werden. Schon Karl Valentin, einer der scharfsinnigsten Komiker des 20. Jahrhunderts, grantelte: „Die Zukunft war früher auch besser.“

Die Menschen neigen dazu zu glauben, dass die Welt sich rückwärts dreht. So hat es etwa Hans Rosling in seinem Bestseller „Fact-fulness“ beschrieben. Im Test im Anhang des Buches kann man sich selber überprüfen: Die meisten werden dabei schlecht abschneiden, weil sie die Zahl der Menschen überschätzen, die keinen Zugang zu Bildung oder Strom haben, glauben, dass die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, wieder größer geworden ist, oder nicht glauben, dass die Gewalt insgesamt abgenommen hat.

Man hört, liest und sieht doch jeden Tag etwas anderes.

Die Schwarzmalerei führt dazu, dass die Leute sagen, ich kann das alles nicht mehr hören. Davon handelt die Titelgeschichte von Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner in diesem Heft. Er schreibt: Wir sind stärker, als wir glauben. Aber freilich, manchmal gerät man selber in Versuchung abzuschalten, selbst wenn im Journalismus Tätige gewohnt sind, jeden Tag mit schlechten Nachrichten umzugehen.

Vielleicht sollten wir uns auch daran gewöhnen, mit guten Nachrichten umzugehen. Oder herausstellen, dass sich einiges zum Besseren gewandelt hat. Und dass Politikerinnen und Politiker nicht grundsätzlich im Eigeninteresse oder im Auftrag von Lobbys handeln. Schauen wir auf die Demokratie, indem wir die Politik nicht schlechter machen, als sie ist. Auch wenn dabei etwas passiert, was viele Journalistinnen und Journalisten gar nicht mögen: Dass sich Grau in die schön farbige Geschichte mischt.

Das Gegenmittel ist nicht, das Schlechte auszublenden, Krieg, Inflation, Verteuerung der Energie, das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Das wäre falsch und verlogen: Was man verdrängt, drängt sich früher oder später mit Wucht ins Leben zurück. Das Gegenmittel wäre, genauer zu sein, mit dem Schwarzen auch das Weiße mitzudenken, darzustellen, was Hoffnung macht, wo die Welt sich zum Besseren gewendet hat – ohne ein Prediger zu sein, aufzuzeigen, wo wir stark sind. Eben um die Verhältnisse auszuhalten und die schlechten Nachrichten zu verarbeiten. Nicht, dass wir jetzt keine Kritik üben dürfen, aber sie muss angemessen sein, der Lage entsprechen. Nicht Kritik um der Lust an der Kritik willen.

Sonst werden die Menschen mit Recht sagen: Ich will das nicht mehr hören. Und abschalten. Das wiederum wäre ein großer Schaden. Denn wer nicht hinhört, kann weder an der Demokratie teilhaben noch erahnen oder erfahren, wo Gefahren lauern, und sich auf sie vorbereiten.

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