Leitartikel

Das muss endlich aufhören

Aus ff 03 vom Donnerstag, den 19. Januar 2023

Mord an Frauen ist kein Schicksal, sondern hat System. Es muss endlich mehr über Femizide geredet – und mehr dagegen unternommen werden.

Das neue Jahr ist keine drei Wochen alt und in Italien wurden bereits drei Frauen ermordet. Die mutmaßlichen Täter waren keine Fremden, die ihnen in dunklen Parks oder auf der Straße aufgelauert haben – es waren ihre Ex-Partner und Partner.

Das ist die traurige Gewissheit auch zu Beginn dieses Jahres.

Sehr wahrscheinlich werden auch in den nächsten Monaten Frauen ermordet werden. Im vergangenen Jahr wurden 58 Frauen in Italien von ihrem Ehemann, Lebenspartner, Ex-Partner erschossen, erstochen oder erwürgt – nur weil sie Frauen waren, nur weil immer noch zu viele Männer einen Frauenhass in sich tragen, weil sie einen Besitzanspruch erheben – mit tödlichen Folgen. Männer töten, um die Macht zu behalten, um die Frau zu behalten. Wenn er sie schon nicht bekommt, soll sie auch niemand anderer bekommen.

Diese Brutalität, die alltäglich ist, trifft uns mit aller Wucht. Sie zeugt von einer großen gesellschaftlichen Ratlosigkeit bei Gewalt gegen Frauen. Dabei sind Frauenmorde kein Schicksal und auch kein Naturgesetz, sondern sie haben System. Etwa jede vierte Frau auf der Welt hat einer -Studie zufolge mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt in einer Partnerschaft erfahren. Betroffen sind auch sehr junge Mädchen und Frauen zwischen 15 und 19 Jahren. Zu diesem Ergebnis kamen vor einem Jahr Wissenschaftler nach der Auswertung von Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie merkten an, dass die Regierungen auf keinem guten Weg seien, das von den Vereinten Nationen formulierte Entwicklungsziel zu erreichen: nämlich Gewalt gegen Frauen und Mädchen bis 2030 auszumerzen.

Femizide sind nur die Spitze des Eisbergs, sie sind die ex-tremste Form von geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen. Viele könnten noch am Leben sein. Wenn früher, wenn schneller reagiert worden wäre. Wenn Warnzeichen besser erkannt worden wären. Wenn Ordnungs- und Sicherheitskräfte auf vorangegangene Anzeigen reagiert hätten.

Damit sich wirklich etwas ändert, braucht es einen radikalen Wandel auf allen Ebenen: in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Straftaten, auf institutioneller Ebene in Gesetzen, in der Prävention, in den Medien, in der öffentlichen Diskussion. Wir müssen uns lösen von stereotypen Geschlechterrollen.

In der Prävention müssen vor allem auch Männer angesprochen werden. Sie stehen maßgeblich mit in der Verantwortung, dass sich etwas ändert. Sie sollten früh die Möglichkeit erhalten – auch schon im Kindergarten und in der Schule, neue Rollenbilder zu finden und alte, verkrustete Verhaltensmuster aufzubrechen. Es braucht mehr Täterarbeit, mehr Anti-Gewalt-Trainings – und auch mehr Daten. Seit einem Jahr zum Beispiel erfasst Spanien als erstes EU-Land alle Formen von Femizid. Eine unabhängige staatliche Stelle registriert frauenfeindliche Morde in der Familie und im sozialen Umfeld.

Natürlich – es hat sich in den vergangenen Jahren bereits vieles verändert, rechtlich, politisch, auch in der öffentlichen Perspektive. Trotzdem haben wir es immer noch nicht geschafft, die richtigen Stellschrauben zu drehen, damit es tatsächlich zu einem spürbaren Rückgang von Gewalt an Frauen kommt. Derzeit wird vielfach punktuell vorgegangen: Wenn ein Mord passiert, reagiert man ad hoc. Langfristige Planung mit strategischen Maßnahmen wäre hier vielversprechender.

Hier gibt es eindeutig Nachholbedarf. Es braucht eine Massenbewegung, die dafür kämpft, dass Femizide endlich nicht mehr Alltag sind.

Nicht erst morgen, sondern schon heute.

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