Leitartikel

Die Verbändedemokratie

Aus ff 07 vom Donnerstag, den 16. Februar 2023

Die SVP will, dass Bauernbund und Konsorten ungehemmt Wahlwerbung machen können. Aber eine zeitgemäße Politik muss die Lobbys eindämmen.

Betritt man die Büros des Südtiroler Bauernbunds am Bozner Boden, befindet man sich im Inneren einer Kampfmaschine. 200 Mitarbeitende, straffe Führung, fast totale Digitalisierung. Hier gibt es ein Patronat, die Redaktion des Landwirt oder auch eine Rechtsabteilung. Von ihr heißt es, sie schreibe bessere Gesetze als die Juristen beim Land, von hier kommen, die Anmerkungen in rot, die Gesetzesentwürfe zurück an Landesregierung und Landtagsabgeordnete.

Der Bauernbund ist die größte und mächtigste Lobbyorganisation im Land. Sie leistet hartnäckigen Widerstand, wenn jemand es wagt, an den Privilegien des Bauernstandes zu kratzen. An der geringen Steuerlast für die Bauern, der Freiheit, Chemie auf Bäume zu spritzen oder Zimmer zu vermieten. Die Bauernschaft hat einen direkten Draht in die Politik. Sie sitzt im Inneren der herrschenden Partei, der SVP, im Landtag oder in den Ausschüssen, die die Linie der Partei bestimmen. Sie ist gekommen, um zu bleiben. Gewerkschaften hingegen müssen lange warten, bis sie angehört werden – ganz zu schweigen von der Erfüllung ihrer Forderungen. Dabei stellen Arbeitende und Angestellte die Mehrheit in der Bevölkerung.

Es vergeht kein Tag, an dem Bauernbund (SBB), Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV), Handwerkerverband (LVH), Unternehmerverband (UVS) oder Handels- und Dienstleistungsverband (HDS) nicht irgendwelche Forderungen stellen. Ist eine erfüllt, wird schon die nächste nachgeschoben.

Südtirol ist eine Verbändedemokratie. Politik und Lobbys sind eng verwoben, manchmal nicht auseinanderzuhalten.

Wie schwer das zu ändern ist, zeigte sich in der vergangenen Woche im Südtiroler Landtag. Die Opposition hatte geschlossen verlangt, das Gesetz zu novellieren, das Verbänden verbietet, vor Wahlen Werbung für Parteien und Kandidaten zu machen. Es sieht bei Verstößen keine Sanktionen vor, ist also wirkungslos. Die Opposition wollte das ändern, die SVP war dagegen (siehe eigener Artikel ab Seite 16).

Also wird der Bauernbund wieder unverschämt für die vier SVP-Leute werben dürfen, die bei einer Basiswahl für landtagstauglich befunden wurden: Maria Hochgruber-Kuenzer, Franz Locher, Josef Noggler und Luis Walcher. Gut möglich, dass alle in den Landtag kommen. Bekommt die SVP gleich viel Mandate wie 2018, fünfzehn, könnten also vier Abgeordnete aus dem SBB kommen. Welche Interessen werden da Vorrang haben?

Die Gesellschaft spaltet sich in die, die viel, und in die, die wenig Einfluss haben. Die Wirtschaft hat großen Einfluss, Gewerkschaften, Verbraucherschutz und Umweltverbände wenig.

Im Zentrum des Lobbyismus steht die Südtiroler Volkspartei. Je schwächer die Partei, umso größer der Einfluss von SBB, HGV, LVH, UVS und HDS. Um sich zu erneuern, muss sie den Einfluss der Verbände in der Partei eindämmen – wie weit er reicht, belegt das Beispiel Siegfried Rinner. Der Direktor des Bauernbundes ist gleichzeitig auch Vorsitzender des Landwirtschafts-Ausschusses der Partei. Landeshauptmann Arno Kompatscher will das ändern, doch folgt ihm die Partei? Noch sieht es nicht danach aus.

Was der Lobbyismus verhindert: eine gerechtere Gesellschaft, einen anderen Umgang mit Natur und Ressourcen, Ausgleich der Interessen, eine politische Repräsentanz, die die Bevölkerung widerspiegelt. Also eine zeitgemäße, moderne Politik, die nicht einfach weiterschreibt, was ist.

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.