Leitartikel

Die Stunde der Besserwisser

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 09. März 2023

Was war falsch und was richtig im Umgang mit der Pandemie? Eine Gewissenserforschung muss sein. Ohne billige Schuldzuweisungen.

Eines der Übel unsere Zeit ist, dass viele immer schon alles gewusst haben. Solche Leute wissen heute, in der Gegenwart, was in der Vergangenheit für die Zukunft besser gewesen wäre. Zum Beispiel die Menschen, die jetzt forsch einen Untersuchungsausschuss für die Zeit der Pandemie fordern. Sie übersehen, dass sich die Zukunft nicht planen lässt.

Der 24. Februar 2020, an dem der erste Covid-Fall in Südtirol auftrat, war ein Montag. Kurz vor Redaktionsschluss für die ff. Am Abend gaben Politiker und Zivilschützer eine Pressekonferenz. Wir fragten uns: Müssen wir da hin, ist das jetzt so wichtig? Wir gingen hin, nur um zu hören, dass keine Gefahr bestehe, dass sich nicht sagen lasse, wie sich die Lage entfaltet. Zehn Tage später wurden die Schulen geschlossen, noch ein paar Tage später die Touristen nach Hause geschickt. Die Hausärzte in den Tourismushochburgen diagnostizierten eine „komische Grippe“ – und erkrankten selber bald schwer an Covid.

Niemand wusste genau, mit welch tückischem Virus wir es zu tun hatten. Jetzt, drei Jahre danach, sind wir natürlich schlauer. Die Pandemie ist zu einer Endemie verflacht. Aber wer heute sagt, er sei im Februar 2020 nicht hilflos gewesen, ist ein Lügner oder ein Hochstapler.

Heute freilich darf man fragen, was richtig und was falsch war im Umgang mit der Pandemie – ohne billige Schuldzuweisungen. Es braucht eine ehrliche Gewissenserforschung, aber keine Schauprozesse wie gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte oder gegen den ehemaligen Gesundheitsminister Roberto Speranza, die im Frühjahr 2020 die Verantwortung für die Bekämpfung des Virus trugen.

Viele, auch kluge Köpfe, waren der Meinung, die Pandemie sei Gelegenheit zu einer großen Veränderung. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Man verfiel schnell wieder in die alten Muster, als das Virus gnädiger wurde – der Tourismus boomt mehr als je zuvor, der Kampf um die Ressourcen tobt weiter, das Pflegepersonal genießt das gleiche Ansehen wie immer, Frauen sind noch weniger gleichgestellt. Die Gesellschaft ist gespalten wie immer. Das freilich muss man nicht überbewerten: Ein Kennzeichen einer funktionierenden Demokratie sind harte Auseinandersetzungen, wenig lässt sich in Zeiten wie diesen harmonisch regeln.

Gleich weiter wie gehabt machen auch die Schwurblerinnen und Schwurbler, die Covid für eine Erfindung der Pharmaindustrie halten und den Impfstoff für Gift – ihren Egoismus betrachten sie heute noch als Streben nach Freiheit und sich selber für Helden. Jetzt sind sie halt für Putin ...

Die Politik freilich hat unter der Pandemie gelitten, auch wenn sie vieles richtig gemacht hat. So hat sie verhindert, dass etwa in Italien noch mehr als 188.000 Menschen sterben und sie hat vielen Menschen und Unternehmen viel Geld gegeben, um die Folgen der Schließungen und der Lockdowns auszugleichen. Doch das Misstrauen in die Politik ist mit der Pandemie gewachsen, man traut ihr alles zu. Alles Schlechte. Eines müsste in einer Demokratie Konsens sein: dass man dem politischen Gegner nicht alles Schlechte unterstellt.

Sonst haben wir ein Problem. Wir untergraben das Beste, das wir haben: die Demokratie, die Freiheit gewährt und gleichzeitig den Rahmen für ein friedliches Leben schafft.

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