Leitartikel

Achammers Pillen

Aus ff 14 vom Donnerstag, den 06. April 2023

Zitat Leitartikel
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Wer darf in welche Schule gehen und welche Rolle spielt dabei die Sprache? Die Antwort der SVP ist Trennung statt Öffnung.

Was tun mit den Sprachen in der Schule, die sich in Bozen, Meran, Leifers und im Unterland unweigerlich mischen? Wie umgehen mit italienischsprachigen Kindern oder mit Migrantenkindern, die sich in die deutsche Schule einschreiben wollen? Das war die Frage der vergangenen Wochen (Titelgeschichte in ff 13/23).

Wer jetzt sagt, man könne die Gesellschaft schön nach Sprachen teilen, wie die Südtiroler Volkspartei mit Philipp Achammer (zuständig für die deutsche Schule), verweigert sich der Realität. Die Antwort der SVP ist immer noch: Je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns.

Die Vorschläge der SVP auf die Debatte um die Einschreibungen von italienischsprachigen Kindern in die deutsche Schule: Eingangsgespräche für Eltern und Kinder, verpflichtende Sprachkurse, Sommerkurse. Und Abweisungen. Das sind Beruhigungspillen, alte Antworten. Statt die Schulen zu öffnen, stellt man neue Mauern auf. Man stelle sich vor: Eltern, die mit ihrem Kind aus Syrien geflohen sind, sitzen jetzt vor einer Schulführungskraft und müssen beweisen, dass sie ihrem Kind bei den Hausaufgaben helfen können. Die Politik wälzt ihre Aufgaben auf die Eltern ab.

Sigrun Falkensteiner, Landeschuldirektorin für die deutsche Schule, war im Gespräch mit ff ehrlich. Sie sagte: „Wir haben noch keine Antwort auf die Entwicklungen.“ Das heißt im Umkehrschluss: Die bisherigen Antworten waren unzureichend.

Elterngespräche, Sprachkurse gibt es schon. Schulführungskräfte raten Eltern schon jetzt, ihr Kind in der anderen Schule einzuschreiben. Das reicht offensichtlich nicht. Die Sprachfrage in der Schule erfordert eine Antwort, die sich an den Bedürfnissen der Menschen, der Eltern und der Kinder, orientiert. Und die sind eben nicht alle von der gleichen Sorte. Aber wenn jemand in der Schule wenig mitzureden und mitzuentscheiden hat, sind es die Eltern; wenn jemand nichts mitzureden und mitzuentscheiden hat, sind es die Kinder und Jugendlichen.

Die Gesellschaft ist gemischt, ob wir es wollen oder nicht. Politik heißt auch, sich den Tatsachen zu stellen. Tatsache ist, dass in Südtirol viele Kinder mit mehreren Sprachen leben und aufwachsen. Mit Deutsch und Italienisch, mit ihrer Muttersprache und mit Deutsch und mit Italienisch. Deshalb braucht es jetzt eine Lösung, die nicht ideologisch ist, die wieder das Deutschtum betont. Ideologisch ist das Beharren auf einer Interpretation des Artikels 19 des Autonomiestatuts, bei der es nichts gibt als Schwarz oder Weiß. Der Artikel, das zur Erinnerung, garantiert das Recht auf eine Schule in der eigenen Muttersprache. Doch verbietet er deswegen alles andere?

Warum darf es keine differenzierte Schule geben? Eine Schule mit deutscher, eine Schule mit italienischer Unterrichtssprache, eine mehrsprachige Schule, wo es sie braucht und wo sie gewünscht wird. Wessen Rechte verletzt das, wenn es alles gibt, was das Autonomiestatut garantiert?

Es gibt genügend Beispiele dafür, dass niemand seine Sprache verlernt, weil er eine andere lernt: Er verliert nichts, sondern gewinnt etwas dazu. Ist unsere Identität so schwach, dass sie zusammenbricht, wenn wir uns mit anderen Sprachen oder gar mit den anderen konfrontieren?

Nicht Begegnung gefährdet die Zukunft einer Minderheit, sondern Abschottung, ein Nebeneinander, das schnell in ein Gegeneinander umschlagen kann, wenn und weil man sich nicht kennt.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
06. April 2023, 09:01

Dass Identität fluid ist (vgl.a. Habermas), ist bekannt. Aber wieso sollte man z.B. deshalb Geschechtern und Minderheiten ihre Rechte negieren bzw. diese deshalb benachteiligen?
Wieso ist/sollte ausgerechnet die Negation und die Diskreditierung des völkerrechtlichen als durch it. Verfassung und Gesetz verankerten Schutzes der dt. Minderheitbevölkerung in Italien hier nicht "ideologisch" sein? antworten

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