Leitartikel

Zeitenwende

Aus ff 18 vom Donnerstag, den 04. Mai 2023

© FF Media
 

Wahlkampf ist alle fünf Jahre die große Show der Demokratie. Das werden wir in den nächsten Monaten besonders intensiv beobachten.

Ein halbes Jahr noch, dann wählt Südtirol einen neuen Landtag. Für Wahlkämpfende beginnt jetzt so langsam die heiße Phase. Das Werben um Wählerinnen und Wähler folgt dabei oft einem ausgeklügelten Plan. Viele Kandidatinnen und Kandidaten geben viel Geld dafür aus, dass sich jemand für sie ausdenkt, wofür sie stehen wollen. Und die Parteien wollen mitteilen, wer sie wirklich sind. Vorher, also die vergangenen viereinhalb Jahre, hatten sie nicht genug Zeit dazu.

Die meisten Parteien stecken eine wahnsinnige Energie in Werbestrategien. Es ist ihnen aber wichtig, dass man ihnen das nicht ansieht. Man soll nicht merken, dass es vielfach doch nur um die Frage geht, was man machen muss, um gewählt zu werden, statt darum, was man verändern muss, um dem Land gutzutun. All das ist so normal geworden, dass wir es nicht einmal mehr wahrnehmen.

Die Sprachendiskussion beispielsweise an den deutschen Bildungseinrichtungen ist seit Wochen ein heiß diskutiertes Thema. Da werden – vor allem auch seitens der SVP – Ängste befeuert, die mit der Realität nichts zu tun haben. Oder: Die Freiheitlichen haben eine Online-Petition gestartet: „Wolf und Bär gehören nicht hierher!“ Vor fünf Jahren, also im Wahljahr 2018, hatte noch der zuständige Landesrat selbst eine solche Petition lanciert. Die Forderung: eine Regulierung der Wölfe in Südtirol.

Landeshauptmann Kompatscher wiederum gab neulich bekannt, dass man es begrüßen würde, wenn in Südtirol ein Abschiebezentrum errichtet werden könnte. Er betonte aber im gleichen Atemzug, dass es sich nicht um einen Wahlkampftrick handle, sondern um eine lang deponierte Forderung.

Wer zurzeit die parteipolitische Landschaft betrachtet, kann den Eindruck haben: Parteien und Politiker machen ihr Ding wie bisher. Dass wir mit der Corona-Pandemie gerade die größte Krise der Nachkriegszeit hinter uns haben, scheint in weite Ferne gerückt. Leben und Politik gehen so weiter wie vorher, als ob nichts gewesen wäre.

Was haben wir aus dieser Krise gelernt? Zum Beispiel für das Gesundheits- und Pflegewesen? Oder für die Arbeitswelt und die Bildung? Was für den Tourismus?

Corona hat viele Probleme nicht geschaffen, sie aber aufgezeigt. Auch die Probleme, die Armut mit sich bringen. Obwohl Südtirol kein armes Land ist, gibt es hier immer mehr Armut. Dieses Auseinanderdriften ist gefährlich. Auch weil Demokratie nicht gut funktioniert, wenn ein größer werdender Teil der Gesellschaft nicht mehr mitmacht.

Welche Rezepte finden die Parteien für all das? Wird sich Südtirol einen zwar harten, aber letztlich ehrlichen Wahlkampf leisten? Oder einen harmlosen Wahlkampf der Nebensächlichkeiten?

Das ist umso bedeutender, weil das Land vor einer Zeitenwende steht. Die Südtiroler Volkspartei könnte nach den großen und kleinen Skandalen und Streitigkeiten der vergangenen Jahre weiter in der Wählergunst abstürzen. In Gestalt der Fratelli d’Italia greift erstmals eine postfaschistische Partei als Koalitionspartner nach der Macht. Aber auch die Grünen haben gute Chancen, dieses Mal mitregieren zu können.

Bleibt zu hoffen, dass den Parteien in den nächsten Monaten vor lauter Umfrageabhängigkeit, Kommunikation-Marketingwahnsinn und dem Posten in den Sozialen Medien im Sekundentakt noch die Muße bleibt, sich darauf zu verständigen, welche Meinung sie dauerhaft vertreten.

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