Leitartikel

Silvio, der Spalter

Aus ff 26 vom Donnerstag, den 29. Juni 2023

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Julia Unterberger kritisiert bei einer Gedenkfeier Silvio Berlusconi. Unpassend oder mutig? In der SVP wird an den Rand gedrängt, wer die Wahrheit sagt.

Julia Unterberger war nicht klug, sondern ehrlich, als sie Silvio Berlusconi bei der Trauerfeier für den verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten im Senat kritisierte. Es braucht Mut, um bei einer solchen Gelegenheit aufzustehen und zu sagen, was man denkt. Schließlich gilt Berlusconi jetzt schon vielen als Heiliger. Die SVP-Senatorin sprach fünf Minuten lang und erzürnte mit ihrer Rede die rechten Kolleginnen und Kollegen im Senat – und ihre eigene Partei. Berlusconi, daran sei hier erinnert, wurde 2013 wegen Steuerbetrugs verurteilt und für sechs Jahre von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, er konnte Geschäft und Politik nie trennen, seine Partei, Forza -Italia, war eines seiner Unternehmen.

Unterberger sagte: Berlusconi habe dem Image der italienischen Frauen geschadet. Darf sie das – und noch dazu bei einer Trauer-feier? Hat sie damit Südtirol geschadet? Sie hat jedenfalls die eiserne Regel gebrochen, dass eine Politikerin, ein Politiker, in solchen Fällen nie die Wahrheit sagen darf. Die Regel ist: Scheinheiligkeit. Das Staatsbegräbnis für Berlusconi erzählt viel über Italien; es erzählt davon, wo dieses Land steht, dass Prinzipien kaum mehr etwas bedeuten. Liberal sein hieß für ihn, auf sich selber zu schauen, Regeln zu brechen, die Unterscheidung zwischen richtig und falsch zu verwässern. Und ja, Frauen als Ware zu behandeln.

Es hat in Südtirol schon Aufregung gegeben, weil niemand das Land offiziell bei der Beerdigung von Berlusconi vertreten hat. Carlo Vettori, der Landtagsabgeordnete von Forza Italia, der seine Karriere in der Lega begonnen hat (siehe Artikel auf Seite 20), drohte, der Landesregierung die Unterstützung zu entziehen. Das erste Mal, seit Vettori im Landtag sitzt, nahm die Öffentlichkeit wahr, dass es ihn gibt.

Vettori bekam ein bisschen Aufmerksamkeit, die SVP wand sich ein bisschen. Und es war bald wieder gut, schließlich will Forza Italia im Land mitregieren, die SVP braucht jede Stimme. Und dann kam Julia Unterberger, die präpotent genug ist, einen solchen Auftritt hinzulegen. Die SVP-Bosse goutierten ihn gar nicht, obwohl Gedanken, Worte und Werke von Berlusconi den Werten einer christlich-sozialen Partei völlig entgegengesetzt sind. Herbert Dorfmann, EU-Parlamentarier der SVP, bellte umgehend zurück, sogar der Landeshauptmann, sonst ein Gesinnungsgenosse von Julia -Unterberger, knurrte, das gehe gar nicht.

Bei Dorfmann ist das verständlich: Er muss um sein Geschäft fürchten, er fuhr 2019 als Trittbrettfahrer auf der Lok von Forza Italia nach Brüssel ins Europaparlament – und will das 2024 wieder. Und, was noch bemerkenswerter ist, er denkt ähnlich: Dorfmann ist nach rechts anschlussfähig.

Über Dorfmanns Haltung, die verlässlich von den Dolomiten breitgetreten wird, muss man sich nicht wundern. Aber der Landeshauptmann? Warum rügt er Julia Unterberger? Er denkt in erster Linie daran, was sich bei der jetzigen Regierung holen lässt, die aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia besteht. Er wird in seiner Haltung Fratelli d’Italia gegenüber immer vager.

Das ist die SVP von heute: Wer Klartext redet, auf Grundsätzen beharrt, nicht nur denkt, was man aus Rom holen kann oder wie man im Land die Pfründe bewahrt, wird an den Rand geschoben.

Leserkommentare

1 Kommentar
Willfried Grindler
02. Juli 2023, 22:11

In der heutigen Zeit, in der Zynismus und die Neigung, über Verstorbene herzuziehen, zunehmen, ist es von entscheidender Bedeutung, die Errungenschaft der europäischen Zivilisation in Form des Grundsatzes "nihil nisi bene" bei Gedenkfeiern zu verteidigen. Dieser Grundsatz erinnert uns daran, dass es wichtig ist, sich auf das Gute und Positive im Leben einer verstorbenen Person zu konzentrieren und dem Zynismus entgegenzutreten.
Der Grundsatz "nihil nisi bene" ist eine Säule unserer europäischen Zivilisation, die uns lehrt, dass eine kultivierte Gesellschaft nicht auf Zynismus und Herablassung aufbaut, sondern auf Würde und Respekt. Er erinnert uns daran, dass niemand perfekt ist und dass es wichtig ist, sich auf die positiven Beiträge einer Person zu konzentrieren, besonders wenn sie gerade verstorben ist. Dieser Grundsatz ist Teil unserer europäischen Tradition und ein Zeichen von kultureller Reife und Sensibilität. Indem wir diese Tradition verteidigen, setzen wir uns für eine Kultur der Anerkennung und Würdigung ein, die das Beste unserer europäischen Zivilisation verkörpert.
Der Zynismus und Hass bei Totengedenkfeiern sind nicht nur respektlos gegenüber den Hinterbliebenen, sondern untergraben auch den Zweck solcher Veranstaltungen. Anstatt das Leben und die Errungenschaften einer Person zu würdigen, werden negative Aspekte betont und herablassende Kommentare gemacht. Dies schafft eine Atmosphäre der Verurteilung und des Spotts, die der Würde und dem Respekt, den ein solcher Anlass verdient, nicht gerecht wird. Der Zynismus, der bei solchen Anlässen auftritt, untergräbt nicht nur die Würde und den Zweck der Gedenkfeiern, sondern zeigt auch einen Mangel an Empathie und kultureller Sensibilität. antworten

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