Leitartikel

Die Kirche von gestern

Aus ff 27 vom Donnerstag, den 06. Juli 2023

Zitat Leitartikel
© FF Media
1

Kein Wunder, dass der katholischen Kirche die Gläubigen davonlaufen: Was die Fälle Lintner, Kössler und Kloster Säben uns erzählen.

Der Moraltheologe Martin Lintner darf nicht Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen werden – Befehl des Vatikans. Ulrich Kössler ist aus dem Benediktinerkloster ausgetreten und hat dafür persönliche Gründe angegeben – offensichtlich ist ihm das Mönchsleben zu eng geworden. Und ja, da ist ja noch die Geschichte von Kloster Säben, das Bischof Ivo Muser wieder einem Orden übergeben will – es kommen jetzt vier Zisterzienser aus dem Kloster Heiligenkreuz bei Wien, zuerst einmal zum Probewohnen. Wächter des wahren Glaubens – im Sinne des verstorbenen Papstes Benedikt XVI.

Das ist der Zustand der katholischen Kirche (in Südtirol). So wie sich in der Gesellschaft eine Kluft aufgetan hat, geht auch durch die katholische Kirche ein Riss. Und man weiß nicht, ist er je wieder zu kitten oder wird es eine Trennung geben (müssen) zwischen denen, die die Kirche reformieren wollen, und denen, die sich zurück-träumen in eine Zeit, in der Gläubigen, Laien wie Priestern, jeder Zweifel und jede Kritik verboten war?

So wie jetzt im Falle von Martin Lintner, der bestimmt nicht leichtfertig über ein Thema wie die katholische Sexualmoral forscht und schreibt. Bis jetzt hat er, ohne Probleme, an der Hochschule in Brixen Moraltheologie gelehrt. Aber vielleicht wurde er auch bestraft, weil er zu gesellschaftlichen Themen nicht schweigt oder sie salbungsvoll zerredet wie Bischof Ivo Muser. Still waren auch die jungen Katholikinnen und Katholiken nicht, die auf dem heiligen Berg Südtirols ein „Haus der Stille“, einen Ort der Begegnung, schaffen wollten. Doch sie wurden sanft an den Rand geschoben. Vielleicht könnten bei Begegnungen in einem solchen Haus ja unanständige Gedanken ausgetauscht werden, was die innere Verfassung der Kirche betrifft, über Sexualmoral, Frauenpriestertum, Zölibat und mächtige Männer.

Die Südtiroler Kirche hat von 2013 bis 2015 in einem aufwändigen Verfahren, in einer Synode, darüber diskutiert, wer sie sein und wie sie sich aufstellen will, in einer Zeit, in der die Menschen, die meisten still, sich von ihr abwenden. Die Treffen waren, bei allen Divergenzen, freudige Ereignisse. Doch es ging weiter wie immer, es passierte wenig. Engagierte Laien sprechen heute von einer Farce.

Martin Lintner könnte, wenn er offen reden würde, viel erzählen. Noch taktiert er, er will ja weiter im Kirchenverein arbeiten. Er könnte vom Widerstand erzählen, der ihm entgegenschlägt, trotz seiner vermittelnden Art, warum er dennoch in der Kirche bleibt, weil das Evangelium ja eine starke Kraft ist. Und wie eng das Korsett der Amtskirche wieder wird, jetzt, wo Papst Franziskus schwächelt und seine konservativen Kontrahenten unverschämt nach vorne drängen. Ulrich Kössler, der beliebte Pfarrer, könnte vielleicht sagen, was passieren muss, dass Menschen wie er die Kirche als Daheim empfinden. Er hat ja als Pfarrer in Gries deutlich verkündet, dass in seiner Kirche alle Platz haben.

Die Kirche hat ihre Macht verloren, doch sie klammert sich an den kleinen Rest, der ihr geblieben ist. Sie wird implodieren – dabei gibt es unter den Menschen eine große Sehnsucht nach Spiritualität. Und nicht die Welt wird daran Schuld gewesen sein, sondern nur sie selber.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
06. Juli 2023, 12:20

Wird die röm-katholische Kirche "implodieren", wie Mair meint oder nicht weiterhin zusehends erodieren?
Ich denke, Franziskus, ebenso wie Martin M. Lintner, erkennen das wohl sehr richtig. Das zentrale Dilemma ist, dass eine in Förmlichkeiten gefangene, dogmatisch und ritualistisch verknöcherte Reglion aus Angst vor der Welt riskiert, sich unmerklich selbst zu zerstören. Auch eine röm.kath. Kirche muss sich in Generationenprozesse einprägen, um überlieferungsfähig zu sein. antworten

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.