Leitartikel

Bruder Leo

Aus ff 29 vom Donnerstag, den 20. Juli 2023

 

Der Obmann des Südtiroler Bauernbundes hält die Fratelli d’Italia für einen Segen. Und lobt die Gentechnik. Herr Tiefenthalter, was soll das?

Man sieht an der Gentechnik, wie schnell ein Meinungswechsel geht: Gestern war sie noch ein Fluch, heute ist sie ein Segen. Sagt der Obmann des Südtiroler Bauernbundes, Leo Tiefenthaler.

So wie Giorgia Meloni und die Fratelli d’Italia ein Segen für die Südtiroler Bauern sind. Sagt Leo Tiefenthaler.

Warum tut er das? Opportunismus? Geschichtsvergessenheit? Unwissenheit? Oder kühle Vertretung der Standesinteressen?

Es herrscht im Bauernbund dasselbe Prinzip wie in der Südtiroler Volkspartei: Wir nehmen, was wir kriegen können, egal, von wem. Wurscht, ob die Regierung durch Rassismus oder Diskriminierung von sexuellen Minderheiten auffällt, eine Justizreform auflegt, die das Abhören vom Telefongesprächen erschwert und damit -kriminellen Vereinigungen hilft, ihre Geheimnisse zu wahren, ob sie eine Ministerin auf Biegen und Brechen verteidigt, die Schwierigkeiten mit der Justiz hat, ob es unter ihnen glühende Mussolini-Verehrer gibt.

Die SVP-Bauernvertreter im Landtag werden mit den „Fratelli d’Italia“ nach den Landtagswahlen schnell einen Pakt schließen. Hauptsache, die Italiener in der Landesregierung stören nicht. Sie proben das jetzt schon. Die Rechten sind ja die Vertreter der Agro-Industrie, hofieren die großen Verbände, wehren alle Versuche ab, die Landwirtschaft umweltverträglicher zu machen. Dabei geht der Umgang mit Ressourcen und Umwelt uns alle etwas an, nicht nur die Bauern.

Eine kleine Minderheit konditioniert die Politik. Man sieht es im Land bei Bettenstopp, bei Wolf und Bär, beim Referendum in Mals über den Gebrauch von Pestiziden – die Bauern diktieren die Debatte. Wie selbstverständlich bestimmt der Bauernbund immer seine Kandidaten auf der SVP-Liste. Die Arbeitnehmer haben lange nicht so viele Privilegien.

Hat Bauernbund-Obmann Tiefenthaler die Mitglieder des Bauernbundes gefragt, ob sie seine Politik teilen? Ob sie mit seiner Wende in Sachen Gentechnik einverstanden sind? Wo sind die Bauern, die ihm widersprechen? Ist es wie bei der Handelskammer, wo keines der Mitglieder die Courage hat, die Macht von Michl Ebner infrage zustellen?

Tiefenthaler findet die Gentechnik plötzlich einen Segen, obwohl die Sennereien immer noch mit gentechnikfreier Milch werben. Über die Gentechnik muss man reden, zu lange haben Grüne, Umweltverbände und Politiker sie als Fluch abgetan, uns erzählt, die Folgen der Gentechnik seinen unabsehbar.

Dabei hätte sie, wenn es wahr wäre, viele Vorteile: keine Pestizide mehr, schonender Umgang mit Wasser, Nahrungsmittelsicherheit. Das versprechen wenigstens ihre Befürworter. Hören wir ihnen zu (wir tun das demnächst auch in diesem Magazin). Aber sie müssen schon schlüssig erklären, warum das eine Revolution wäre, wie das in Zukunft ist etwa mit Patenten auf gentechnisch veränderte Lebensmittel. Patente schaffen Abhängigkeiten. Das wiederum ist kein Segen für die Landwirtschaft.

Es braucht eine ehrliche Debatte. Was nicht geht: dass die Bauern und ihre Vertreter für uns alle bestimmen, was gut ist. Das Thema Gentechnik ist politisch. Und zu wichtig, um es einer Lobby zu überlassen.

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