Leitartikel

Sich verraten

Aus ff 49 vom Donnerstag, den 07. Dezember 2023

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Den Kompatscher, der einmal mit dem Versprechen einer neuen Politik angetreten ist, gibt es nicht mehr. Er ist sich selber untreu geworden.

Die SVP geht wieder den leichten Weg, sie verhandelt mit schwachen Partnern über die Bildung einer Landesregierung. Mit der Lega (1 Mandat), den Fratelli d’Italia (2), den Freiheitlichen (2), Lista Civica (1).

So hat es der Parteiausschuss entschieden, so hat es der Landeshauptmann hingenommen. Bei der Pressekonferenz nach der Abstimmung in der Partei stand Arno Kompatscher da und machte ein Gesicht, als wäre gerade ein Unglück über ihn hereingebrochen. Aber hat er sich wirklich für eine andere Regierungskoalition eingesetzt, etwa mit dem Team K oder den Grünen, für eine Regierung mit Vorwärtsantrieb?

Arno Kompatscher muss einem nicht leidtun, er hat es so gewollt oder zumindest so hingenommen, offensichtlich nicht oder zu wenig für seine Anliegen gekämpft, die eigentlich/scheinbar in eine andere Richtung weisen. Geht es ihm in seiner letzten Legislatur um Inhalte oder schieren Machterhalt? Hat er resigniert? Dabei könnte er doch in den kommenden fünf Jahren wirklich zeigen, was er kann. In den vergangenen Jahren zog er beispielsweise wie ein Wanderprediger durch das Land, um Nachhaltigkeit zu predigen. Ihn haben die Leute gewählt, weil sie ihn für einen Linksliberalen halten.

Gar mancher Grüne hat für ihn gestimmt, in der Meinung, man müsse jetzt den Landeshauptmann stärken, gegen die Durnwalders, Stegers oder Walchers in seiner Partei, die sich bedenkenlos mit den Leuten einlassen, die innenpolitisch Bürgerrechte aushebeln, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedrängen, die Kultur umpolen und minderjährige Migranten einsperren. Ein Wähler, italienischer Muttersprache, der bei der SVP sein Kreuz gemacht und Kompatscher auf den Wahlzettel geschrieben hat, sieht sich getäuscht: „Ich habe Kompatscher gewählt, jetzt bekomme ich die Fratelli.“

Die SVP hat die Wahlen verloren und tut immer noch so, als hätte sie die absolute Mehrheit. Keine Demut, kaum Wille zu einer inneren Reform, sondern nur das Bestreben, die alte Macht zu konservieren, aus Rom zu holen, was geht – egal von wem. Warum verhandelt man nicht mit beiden Seiten, tauscht sich über Inhalte aus, entwirft ein Programm, welches das Land voranbringt und entscheidet dann, mit wem man regieren will?

So, wie es jetzt war, hat man sich nicht einmal gescheit angehört, was das Team K vorzuschlagen hätte, von den Grünen ganz zu schweigen. Aber vielleicht kalkuliert man ja noch immer in der alten Logik, dass man die Partner klein machen kann, dass sie sich selbst klein machen, um zu regieren. Die Opposition im Südtiroler Landtag hat ja auch die verhängnisvolle Neigung, sich selber zu schaden.

Vor zehn Jahren stand Arno Kompatscher für Aufbruch, für eine neue transparente, bürgernahe, umweltfreundliche Politik. Aber man weiß auch seither, dass er sich selbst im Weg steht, es nicht versteht, Partner für seine Anliegen zu gewinnen. Jetzt, so hieß es nach den Wahlen, hat die SVP verloren und seine Leute haben gewonnen. Vielleicht, aber die Partei ist offensichtlich die alte geblieben.

Den Kompatscher von vor zehn Jahren, der den Patriarchen Luis Durnwalder abgelöst hat, gibt es nicht mehr. Er ist auf Normalmaß geschrumpft. Weil er sich selbst verraten hat.

Leserkommentare

1 Kommentar
Artim
08. Dezember 2023, 12:06

Kompatscher der Benko der Landespolitik? Der Mann, der alle geblendet hat?
Südtirols politische Starjournalisten Franceschini und Mair sind ein wenig enttäuscht. "Desillusioniert“ ist eine andere Übersetzung desselben Zustands. Wenn man also nicht mehr länger (gänzlich) einer Illusion erliegt. Vielleicht fühlt man sich auch ernüchtert. Wie schön. Bravo. Denn was war man vorher? Eine Enttäuschung ist eine Wahrheit mit Verspätung.
Es ist jedenfalls Zeit, endlich mit Opfer-Erzählungen von und über Kompatscher aufzuhören. Kompatscher will diese Koalition.
Kompatscher machte seine Wiederkandidatur bekanntlich nicht nur von seinem Mitspracherecht bei der Zusammenstellung der Liste abhängig, sondern auch davon, welche Politik die SVP künftig machen, welchen Weg die Volkspartei gehen will. (Kompatscher: "Und dann marschieren wir." (STZ vom 30.10.22) Er meint wohl "Kälbermarsch" nach B. Brecht.
Man tut nun geradezu überrascht, als hätte politisch kritisch denkender Journalismus, den Kompatscher-Achammer-Modus, das Fraiming ... nicht als Spin-Doctoring einer Politik der Beliebigkeit durchschauen können.
Stattdessen hat man als Erfüllungsgehilfe öffentlichkeitswirksam hauptsächlich mit Nebenschauplätzen davon abgelenkt, indem man Kritik(er) Lagern zugeordnete oder sie gar diskreditierte. Kernpunkte, der Umgang mit Feinden der offenen Gesellschaft blieben hingegen weitgehend außen vor.
Dabei. Wir brauchen mehr denn je Franceschinis, Mairs ... und Parteilichkeit des Journalismus für Demokratie. antworten

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