Leitartikel

Es ist zum Schämen

Aus ff 01 vom Donnerstag, den 04. Januar 2024

 

Die SVP will mit den Fratelli d’Italia regieren – das wird sie nicht unbeschadet überstehen.

Es ist kein Jahr her, da konnten sich der Landeshauptmann und der Obmann der SVP eine Zusammenarbeit mit den Fratelli d’Italia „nur schwer vorstellen“ – die Erben des italienischen Faschismus seien zu autonomiefeindlich. Seit zwei Monaten – seit den Wahlen – sieht die SVP in der Zusammenarbeit mit den Fratelli eine „historische Chance“. Warum? Man könne mit den Fratelli die autonomen Kompetenzen wiederherstellen.

Man muss sich klarmachen, von wem hier die Rede ist. Alessandro Urzí, Parlamentarier und Frontmann von Giorgia Meloni in Südtirol, wetterte seit jeher gegen die Autonomie, er verteidigte den Nationalstaat und beklagte lautstark den „disagio degli italiani“. Dieser Mann nun outet sich als bekennender Autonomist, und die SVP ist bereit ihm zu glauben, ja sie hat ihn sogar an zentraler Stelle damit betraut – er ist Präsident der Sechserkommission in Rom, Kompetenzen wieder nach Südtirol zu verlagern. Das ist kein Pragmatismus, das ist ein Haltungsschaden.

„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Das ist die kaltschnäuzige Botschaft von beiden, SVP und Fratelli.

Man muss sich trotz aller behaupteter Normalisierung immer wieder vor Augen führen, dass die Partei der Fratelli d’Italia ihre Wurzeln im Faschismus hat. In ihrem Parteilogo beispielsweise brennt – über einem schwarzen Strich – weiterhin die Flamme in den Farben der italienischen Trikolore. In der politischen Deutung symbolisiert der schwarze Strich den stilisierten Sarg des Diktators Benito Mussolini. Das Symbol stammt noch aus den Zeiten von Giorgio Almirante, dem Gründer des postfaschistischen MSI, des Movimento Sociale Italiano.

Es ist keine zwei Jahre her, da sagte Ignazio La Russa, Gründer und einer der bekanntesten Exponenten der Partei und mittlerweile Senats-präsident: „Wir sind alle Erben des Duce.“

Tourismusministerin Daniela Santanchè ist bekannt für ihre Hetze gegen den Islam und gegen Migranten. 2022 sagte sie: „Ich behaupte stolz von mir, eine Faschistin zu sein.“

Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida warnte im Frühjahr 2023 vor einem „Bevölkerungsaustausch“ infolge von Migration nach Italien und löste damit eine heftige Debatte aus.

All das ist auch der SVP bekannt. Noch vor einem Jahr sagte der Landeshauptmann zu ff, dass die Regierung Meloni zwar „aktuell größtenteils vernünftig“ handle. Andererseits jedoch würden, „wenn es um bürgerliche Rechte geht, niedrige Instinkte bedient“. Bei den Fratelli gebe es „immer noch Faschisten oder Neofaschisten, mit denen wir nichts zu tun haben wollen“. Die SVP schickt sich nun an, mit diesen Fratelli zu regieren – und mit ihnen die Autonomie wiederherzustellen. Als wäre nichts dabei. Es ist zum Schämen, aber wer in der SVP-Spitze schämt sich schon. Die SVP macht Fratelli d’Italia in Südtirol salonfähig. So wie Silvio Berlusconi die Postfaschisten
1994 salonfähig machte, als kleinen Juniorpartner.

Es ist die Pflicht aller Demokraten, sich dieser Gewöhnung entschlossen entgegenzustellen. Gegen pragmatisches Handeln und selbstbewusste Zuversicht ist nichts zu sagen. Aber die SVP täuscht sich, wenn sie glaubt, dass sie eine Zusammenarbeit mit den Fratelli unbeschadet überstehen wird – sie wird schon allein deshalb Schaden nehmen, weil sich große Teile ihrer Wählerschaft und Mitglieder eine Frage stellen werden: Was kann ich dieser Partei überhaupt noch glauben? Und die Antwort wird für die SVP sicher nicht günstig ausfallen.

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