Ines Simbrig forscht an der Bozner Eurac im Bereich Mensch und Technik. Sie sagt: „Wir müssen versuchen, die digitale Kluft, die es gibt, zu schließen.“
Leitartikel
Heilig ist uns nur der Hinterhof
Aus ff 03 vom Donnerstag, den 18. Januar 2024
In 16 Jahren soll Südtirol klimaneutral sein. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir Opfer bringen. Daran führt kein Weg vorbei.
Es gab noch nicht einmal ein konkretes Projekt. Und doch verbreitete sich die Meldung wie eine Horrorvision: Im Ultental soll ein Pumpspeicherkraftwerk entstehen. Es soll erneuerbare Energie speichern, um sie dann ins Netz einzuspeisen, wenn zusätzliche Energie benötigt wird. Eine Art Riesen-Batterie also, um vorzusorgen, wenn die Energie knapp wird. Noch bevor diese konkrete Idee den Ultnerinnen und Ultnern vorgestellt wurde, machten sie dagegen mobil. Etwa mit übergroßen Transparenten an den Balkonen.
Die Heftigkeit der Proteste erstaunt. Denn in Ulten soll weder ein Kohlekraftwerk noch ein Atommeiler entstehen. Nein, ein Kraftwerk, das erneuerbare Energie – also grüne Energie – speichern soll.
Laut einer Studie des Landesstatistikinstituts Astat und der Eurac sprechen sich fast drei Viertel der Menschen in Südtirol für den Ausbau erneuerbarer Energien aus. Ein klares Ja zur Energiewende also. Dabei ist der Protest in Ulten beispielgebend für unsere Haltung: Wir sind zwar für den Umstieg von fossilen Kraftstoffen auf erneuerbare Energien, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür.
Im Englischen gibt es gar einen eigenen Begriff für diese Art der Ablehnung: Nimby: Not in my backyard! Nicht in meinem Hinterhof also. Ich bin für Veränderung, aber die Lasten sollen andere tragen – das berüchtigte Florianiprinzip also.
Solche Nimby-Menschen gibt es in Südtirol jede Menge. Und erstaunlicherweise oft bringen sie sich bei sogenannten „grünen“ Projekten in Stellung. Denken wir nur an die Standseilbahn zwischen Meran, Schenna und Dorf Tirol. Vom Meraner Gemeinderat abgelehnt! Die dafür vorgesehenen staatlichen Gelder verloren und nicht anderweitig einsetzbar. Oder denken wir an die chronisch verstopften Straßen von Bozen ins Überetsch. Straßenbahn gibt es immer noch keine. Bis auf leere Versprechungen und einem wenig effektiven Metrobus ist seit dreißig Jahren nichts vorangegangen.
Besonders gerne machen die Nimbys gegen die Fotovoltaik mobil: Sie wünschen sich zwar Sonnenenergie, aber idealerweise ohne sichtbare Paneele. Weder in Ortszentren und erst recht nicht auf Apfelplantagen. Und auch auf die Windkraft haben sich die Nimbys eingeschworen. Am Sattelberg am Brenner wurde der Windpark erst gar nicht errichtet und auf der Malser Haide war er nur von kurzer Dauer.
Bürgerproteste sind elementar für eine funktionierende Demokratie. Und jeden Einspruch von Umweltgruppen oder Heimatpflegern muss man ernst nehmen. Das steht außer Frage. Die Politik muss die Menschen möglichst früh in Entscheidungs- und Planungsprozesse einbinden und ihnen eine nach Möglichkeit finanzielle „Entschädigung“ bieten.
Der Landeshauptmann und der Bürgermeister sicherten den Menschen in Ulten zu, nicht über ihre Köpfe hinweg zu entscheiden. Ob sie auch eine Vergünstigung bekommen, etwa durch billigeren Strom, das ist noch nicht geklärt.
Wie auch immer die Sache in Ulten ausgehen wird, eines ist klar: Wenn wir alles ablehnen, was vor unserer Haustür geplant wird, kommen wir nicht voran. Dabei haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2040, also in 16 Jahren, soll Südtirol klimaneutral sein. Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir Opfer bringen.
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